Kolumnen 2015

No sex, please! Ich bin ein Roboter.

(aus: Ö1-GEHÖRT, Dezember 2015)

Pepper hat ein echtes Problem mit seinem Sexualleben. Seine japanischen Hersteller haben dem niedlichen Roboter nämlich Sex verboten. Oder besser umgekehrt: die Firma SoftBank untersagt den Pepper-Käufern in ihren AGBs jedwede sexuelle Handlung an und mit der Maschine. Nicht einmal die Stimme dürfen die Robo-Besitzer ihren Fantasien entsprechend verändern.

Warum denn das?

Gut, vielleicht sind meine maschinellen Liebesvisionen etwas zu konservativ. Und vielleicht bin ich zu europazentriert. In unserem Kontinent verbinden wir mit Robotern meist Ungemach, aus der Kontrolle geratene Terminatoren, die die Welt wegen schlechter Programmierung plattwalzen. Die Japaner hingegen haben eine Historie positiver Technikbewertung. Deshalb nutzen sie schon lange soziale Roboter, um etwa alte Menschen zu betreuen – oder zumindest zu bespaßen. Pepper zum Beispiel wird seit Anfang 2015 als Empfangsrobo eingesetzt oder als Kundenberater in Banken.

Zudem häufen sich Forderungen nach Rechten für Roboter – nicht zuletzt deshalb, weil Menschen beim Umgang mit humanoiden Robotern ähnliche Emotionen erleben können wie im Umgang mit Mitmenschen – und zwar von Überlegenheitsgefühlen beim Quälen (ich würde lieber von Beschädigen reden) bis hin zu Mitleid, wenn dem Roboter Gewalt angetan wird. Roboterrechte sind also Menschenschutz über die Bande.

Aber ich werde den Verdacht nicht los, dass Pepper – er wurde im Übrigen ursprünglich von der französischen Firma Aldebaran entwickelt – mit den Herstelleranweisungen ein menschenähnlicher Status zugeschrieben werden soll, den er nicht hat. Auch wenn seine Erzeuger behaupten, Pepper könne Emotionen deuten.

Künstliche Intelligenz ist nach wie vor ein „work in progress“. Und eine gute Behauptung, wenn es gilt, Forschungsgelder einzutreiben. Bei einer Ausstellung europäischer Exzellenzprojekte habe ich kürzlich gesehen, wo die Maschinenintelligenz tatsächlich steht. Da gelang es einem Roboter nicht einmal, ohne fremde Hilfe eine Kaffeetasse autonom von einer Tischplatte aufzuheben.

Insofern neige ich dazu, Kiichi Ishikawas Faux Pas als lässliche Sünde zu bezeichnen. Der Japaner ließ seinen Frust über das schlechte menschliche Kundenservice in einem Handyshop an Pepper aus. Und verhaute den Roboter anständig, wohl auch beeinträchtigt durch etwas zu viel Reiswein. Wenigstens hatte er keinen Sex mit Pepper.

Damit zeigt sich eines: Zumindest als Watschenmann taugen Roboter schon allemal.

 

In den Keller damit!

(aus: Ö1-GEHÖRT, November 2015)

Nicht Simmering gegen Kapfenberg, sondern digital gegen analog: das ist Brutalität. Also zumindest in unserem Haushalt.

Vor einigen Wochen habe ich via Kickstarter einen kleinen 3D-Drucker erstanden – ein niedliches Ding. Der männliche Teil der Familie (wir sind drei mit XY-Chromosomen) stellte das Gerät, scharf beäugt von der Liebsten, sofort im Wohnzimmer neben dem Notebook auf und nahm es in Betrieb. Wir machten danneinfach das, was Weltmächte mit neuen Technologien immer machen: Wir entschieden uns in der ersten Phase für die militärische Nutzung, will heißen: Wir druckten zu Versuchswecken mal Waffen, und zwar durchscheinend grüne Schwerter für Lego-Manderl. Als wir das Wunderding endlich im Griff hatten, starteten wir natürlich die zivile Produktion und entwickelten den Prototypen eines Tomatenbohrers.

Sie fragen, wozu man einen Tomatenbohrer braucht? Die Grillsaison war eben voll in Gang, getrieben auch von den lebensfreundlichen Temperaturen des Sommers. Und gegrillte Tomaten, in die man ein Stück Blauschimmelkäse versenkt, sind gleichermaßen einfach zuzubereiten wie köstlich. Das gilt im Übrigen auch für’s immer schicker werdende Wintergrillen, nur dass man ab Dezember bis Ende März aus Nachhaltigkeitsgründen keine Tomaten mehr kaufen sollte.

Da platzte der Liebsten aber sowas von der Kragen! Obwohl sie Tomaten mit Blauschimmelkäse liebt. Wir sollen das Ding sofort in den Keller räumen, meinte sie. Das braucht zu viel Platz und zerstört überhaupt die ganze dekorativ-museale Anlage des Wohnzimmers. Sie sagte das zwar nicht, aber meinte es so.

Mein Gegenargument: Der 3D-Drucker braucht genau soviel Platz wie 3 Paar Schuhe der Größe 38. Das sind 5 Prozent des weiblichen Schuhbestandes im Haus. Ich verlange ja auch nicht, dass die in den Keller verräumt werden. Wir stimmten also ab. Dass sie die Abstimmung 3:1 gegen die Deportation des Druckers verlor, nahm die Liebste allerdings nicht zur Kenntnis.

 

Jetzt drucken wir also im Keller, wie die hitech-affinen Grottenolme. Und den Tomatenbohrer verweigert die Mutter meiner Kinder auch. Nur weil man dazu halt mit dem Akkubohrer in der Küche hantieren müsste. In Echt:  So wird es keinen häuslichen Fortschritt geben, wenn Innovationen entlang der Gendergrenze einfach ins Untergeschoß abgeschoben werden.

 

Das Leben könnte so schön sein

(aus: Ö1-GEHÖRT, Oktober 2015)

Wenn Sie diese Kolumne lesen, hat uns wahrscheinlich längst der feucht-trübe Herbst in seinem Würgegriff. Aber in meiner Zeitrechnung ist noch Inselsommer. Das warme Meer klopft sacht gegen die Felsküste, als wollte es das ruhige Herz daran erinnern, weiter zu schlagen. Die kroatischen Feigen sind vollreif und süß. An den Mauern schlafen riesige Nachtfalter und warten auf die Dunkelheit.

Leider haben wir W-LAN hier. Ulrichsbergers Kinder (drei) und unsere (zwei) lümmeln auf der Couch und sind in ihre Tablets versunken. Teufelszeug? Nein, sobald einer eine handtellergroße Heuschrecke entdeckt oder eine Schildkröte durch den Garten wandern sieht, werfen die Kinder ihre Computer weg und rennen, um sich die Tiere lang und ausgiebig anzusehen. Danach haben sie meist vergessen, dass sie eben noch ein Clash of Clans-Dorf überfallen oder eine Minecraft-Villa bauen wollten. (Danke, Kinder, ohne euch hätte ich überhaupt keinen Vorwand, diese Digital-Kolumne zu schreiben.)

Das Leben hier ist sehr analog. Auch, weil sich der E-Reader nicht mehr starten lässt. Damit ist quasi die Tür zu einer großen Bibliothek versperrt. Glücklicherweise haben wir viele Bücher auf totem Holz mit. Und so komme ich endlich dazu, Marc Elsbergs „Zero“ zu lesen: sehr gescheit, sehr gut recherchiert, ein Thriller über die Macht der Algorithmen. Und wäre Marc Elsberg kein Wiener, sondern Amerikaner, wäre das Buch nicht nur in Europa ein Bestseller, sondern so populär wie das ebenfalls brillante „Der Circle“ von Dave Eggers.

Schnell übertönen die Zikaden wieder alle Dystopien, so real und gegenwärtig sie auch sind. Ein paar Regentropfen fallen auf die Terrasse. Ulrichsberger meint, das hänge mit dem Wetter zusammen. Seine Frau Anna trägt seit dem Frühstück Sonnenbrillen. Es wurde gestern etwas später bzw. heute etwas früher. Deshalb brauchten wir zum Frühstück zwanzig Eier, wie immer mit Ulrichsbergers Familie. Wir überlegen, ob wir beim nächsten Urlaub gleich Anteile an einer Hühnerfarm mitbuchen.

Nachmittags fahren wir zum Franz auf die Südseite der Insel. Das Navi weiß kaum etwas von der Gegend hier, nur in Ausnahmefällen kennt es eine Ortschaft, selbst in der Hauptstadt kann es uns nicht einmal zum zentralen Platz lotsen. Und trotzdem finden wir überall hin, ganz ohne unsere üblichen digitalen Prothesen. „Beim ersten Kreisverkehr Richtung Prižba und dann immer geradeaus, bis ihr mein Auto seht“, lautet die Wegbeschreibung für die 30-Minuten-Fahrt.

Jetzt haben die Kinder eine tote Krabbe aus dem Meer getaucht. Die nächste halbe Stunde werden sie die Karkasse untersuchen.

So einfach kann das Leben sein.

 

Stadt der Zukunft

(aus: Ö1-GEHÖRT, September 2015)

Zahlreiche Kommunen basteln derzeit an der „Smart City“. Aber nicht alles, was smart scheint, ist auch intelligent.

Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten. Vor hundert Jahren waren es gerade einmal zehn Prozent. Einer der Gründe, warum das Technologiefestival Ars Electronica in Linz heuer nach der Zukunft der Stadt fragt. „Post City“ nennt das Team um Gerfried Stocker und Christine Schöpf die neuen Entwürfe für Städte, die dem 21. Jahrhundert angemessen sind.

Probleme haben die urbanen Räume genug zu lösen – so etwa ihren immensen Energiehunger. Sie verbrauchen immerhin 80 Prozent der Energieressourcen weltweit, während für die restliche Hälfte der Weltpopulation nur mehr ein Bruchteil übrig bleibt.

Als Antwort auf derartige Herausforderungen wird in vielen innovativen Städten an der „smart city“ gearbeitet. In Wien entsteht etwa in Aspern eine Zukunftsstadt. Die Häuser konsumieren nicht nur Energie, sie speisen auch Strom aus Photovoltaik oder Abwärme ins Netz ein. Das ist für die Netzbetreiber weitaus weniger trivial als es klingt, weil sie umdenken müssen. Statt ein paar Großkraftwerke koordinieren zu müssen, haben sie es jetzt mit zahlreichen kleinen Energieerzeugern zu tun. Wie schwer sich die großen Player mit so einer Änderung der Spielregeln tun, zeigt sich seit Jahren bei der Integration von Photovoltaik- oder Windkraftanlagen.

Die „smart city“ könnte aber auch eine von Sensoren durchsetzte Stadt sein. Diese kleinen Wächter registrieren die Bewegungen der Menschen, ihr Verhalten in Abhängigkeit vom Wetter oder die Verkehrsflüsse, um den urbanen Raum zu optimieren. Jetzt, da bald jedes Ding unter dem Schlagwort „Internet der Dinge“ eine eigene Netzadresse haben wird, wittern die großen Technologieunternehmen natürlich ihre Chance auf neue Wachstumsmärkte. Und vielfach scheint es, als suchten sie für die Lösungen, die sie bereits parat haben, erst ein dazu gehörendes Problem. Fragt sich nur, ob „smartness“ automatisch Technologielastigkeit bedeuten muss – und damit Abhängigkeit. Oder ob eine intelligente Stadt nicht auch ein hohes Maß an sozialen Visionen braucht. Die kommen aus den Köpfen, nicht von Algorithmen.

Oder wie sagte kürzlich ein Freund, der an der Stadt der Zukunft mitarbeitet: „Es kann auch sein, dass die Stadt den Bürgern entgleitet und zu einer totalüberwachten Stadt wird.“

Technologie als Vorwand

(aus: Ö1-GEHÖRT, August 2015)

Wir können heute mit Spezialkameras aus dem Weltraum das Logo auf einer Zigarettenschachtel erkennen. Aber Ertrinkende im Mittelmeer offenbar nicht. Seltsam.

Schon bevor das Mittelmeer auch offiziell zu Europas größtem Massengrab wurde, habe ich mich eines gefragt: Da schwirrt seit Jahren jede Menge Hochtechnologie durch die Luft. Mehr oder weniger autonome Drohnen feuern in unterschiedlichsten Weltgegenden nicht nur Raketen auf angebliche Böse ab, sie können auch Ölpipelines selbständig auf Lecks kontrollieren und die Vegetation in Nationalparks kartieren. Bloß eines können sie offenbar nicht: Menschen vor dem Ertrinken retten.

Immerhin rund 2.000 Flüchtlinge sind bis Ende Mai allein in diesem Jahr im Mittelmeer ertrunken, 23.000 sind es seit der Jahrtausendwende. Aber unsere Supertechnologie ist dafür blind.

In echt?

Frontex, die kaum kontrollierte und daher ziemlich obskure Grenzschutzagentur der EU, hat zwar schon vor Jahren hochgerüstet. Aber offenbar nicht, um Leben zu retten, sondern um die Grenzen dicht zu machen. Was gibt es nicht bereits alles an EU-Seeüberwachungsprojekten: die einen identifizieren per Satellit Ölschlieren an der Wasseroberfläche, falls Schiffe illegal ihre leeren Treibstofftanks fluten und waschen, die anderen verfolgen potentielle Schlepperschiffe auf ihrem Weg über das Mittelmeer. Bloß wenn einer über Bord fällt oder Dutzende, ist das System wieder blind.

Wie bitte?

Der Punkt ist: Man muss halt auch wollen. An Technologie mangelt es nicht. Sie ist häufig nur Argumentationsvorwand im Stile von „Unser System lässt das nicht zu“, wie man es oft von Verkäufern zu hören bekommt, die Reklamationen oder Sonderwünsche abwimmeln wollen. Was ein (politisches oder technisches) System erlaubt, sollten Bürgerinnen und Bürger beziehungsweise ihre politischen Vertreter bestimmen. Und an der Spitze der Aktionshierarchie steht idealerweise ein soziales Rahmenwerk, das den Technikeinsatz und –zweck durch Werte definiert. Dann könnte es nämlich heißen: „Das System soll Leben retten (und nicht nur Ölschlieren zählen).“

Stattdessen lautet die Schlagzeile sinngemäß „EU beschließt mehr Satelliten, Drohnen und Fernüberwachungssysteme“. Wär schön, wenn sie die technischen Möglichkeiten auch zum Erhalt von Menschenleben verwenden würde.

Amen!

(aus: Ö1-GEHÖRT, Juli 2015)

Wir glauben an Algorithmen. Das ist nicht viel naturwissenschaftlicher als der Glaube an eine Religion.

Vor kurzem hat Google seinen Such-Algorithmus umgestellt. Nun werden bevorzugt Webseiten als Ergebnisse angezeigt, die sich auch auf mobilen Geräten gut betrachten lassen. Das ist plausibel. Schließlich suchen die meisten Menschen nicht mehr via Desktop-Computer, sondern vom Handy oder Tablet aus.

Was mich viel mehr beunruhigt: Zumindest die Nutzer wissen nicht, was hinter den Algorithmen steht, die mittlerweile unser Leben bestimmen. Manchmal nicht mal die Entwickler.

Im Mai 2010 raste der Dow Jones Index innerhalb kürzester Zeit um 1.000 Punkte abwärts. Der Kurssturz riss selbst kreuzbrave und solide Wertpapiere mit. Schuld am Sturzflug der Wall Street waren Algorithmen: ein Großteil der Aktien wird heute von Computern innerhalb von Millisekunden gehandelt. Die deuteten ein Signal falsch, und der Kurs rasselte nach unten. An ein Sicherheitssystem hatten die Programmierer offenbar nicht gedacht.

Algorithmen  – menschengemachte Handlungsanleitungen für Computer – versuchen aber auch in die Zukunft zu blicken. Zum Beispiel, indem sie Verbrechensdaten der Vergangenheit auswerten und dann vorherzusagen versuchen, wann sich an welchem Ort ein Verbrechen ereignen wird. Amerikanische Städte wie Memphis nutzen dieses „predictive policing“ bereits und lassen Computerprogramme errechnen, wann sich ihre Cops wo befinden sollen. Vielleicht werden Menschen irgendwann verhaftet, weil ein Algorithmus wie im Film „Minority Report“ errechnet, dass sie einen Mord planen. Spätestens dann geht nichts mehr ohne „Glauben“ an die Treffsicherheit des Programms.

Fast immer sind diese Rechenmodelle wohlgehütete Geheimnisse. Weder Google verrät, wie es genau zur Auflistung seiner Suchergebnisse kommt, noch Facebook. Die Folge: Wir kreisen in einer Informationswelt, die ein Rechenmodell für uns erschafft. Der Internetkenner Eli Pariser hat sie als „Filterblase“ bezeichnet. Wir sehen (und schätzen) vor allem Informationen, die uns bestätigen. Das hat kürzlich auch eine Facebook-Studie gezeigt. So wird unsere Welt aber deutlich kleiner, als wenn wir uns mit kontroversen Meinungen auseinandersetzen müssten.

Wie genau das Rechenmodell funktioniert, das diese Welt definiert, das wissen wir wiederum nicht. Es „wohnt“ schließlich in einer „black box“.

Erwin Schrödinger schuf ein wunderbares Bild, um ein dem alltäglichen Verstand zuwiderlaufendes quantenmechanisches Phänomen zu verdeutlichen: Sperrt man in der Quantenwelt eine Katze in eine Kiste, weiß man nicht, ob sie tot oder lebendig ist – oder beides. In der Welt der Algorithmen ist nicht einmal klar, ob eine Katze drin ist – oder vielleicht doch eine Mamba.

 

Immer auf Sendung!

(aus: Ö1-GEHÖRT, Juni 2015)

An ständig online haben wir uns schon gewöhnt. Jetzt kommt das nächste große Ding. Ständiglive.

„Ich habe die Zukunft gesehen und sie kommt in Echtzeit.“ So jubelte der deutsche Blogger und Journalist Richard Gutjahr über eine neue App namens „Periscope“. Dieses Smartphone-Programm ist nichts Anderes als Kamera und Fernsehstation in einem. Sie sendet live über den Kurznachrichtendienst Twitter. So haben einige Nutzer Bilder von der Gasexplosion Ende März in New York übertragen.

Genauso gut lässt sich mit „Periscope“ oder seinem Konkurrenten „Meerkat“ auch eine U-Bahnfahrt in Echtzeit filmen. Oder eine Schlägerei vor einem Würstelstand. Oder ein Konzert. Man braucht nichts dazu als ein modernes Handy und eine Internetverbindung.

Vordergründig mag es attraktiv scheinen, wenn manche „Live“ als neuen Mainstream ausrufen. So schnell ist kein Fernsehübertragungswagen vor Ort wie jemand, der nur sein Smartphone aus der Hosentasche ziehen muss, um „auf Sendung“ zu gehen. Vor allem die Katastrophenberichterstattung wird durch das neue „always on air“ Konkurrenz bekommen.

Andererseits denke ich mit Schaudern an Szenen in Dave Eggers Bestseller „Der Circle“. Ein mächtiger Internetkonzern entscheidet sich dazu, so viele Menschen wie möglich mit Livekameras auszurüsten, um mehr Transparenz zu schaffen. Diese Zukunft ist schnell Gegenwart geworden. Nur, was hat das vordergründige Abbilden mit Transparenz zu tun? Besteht Transparenz nicht vielmehr aus dem Öffentlichmachen von Zusammenhängen, Ideen oder fallweise Winkelzügen? Die scheinen in oberflächlichen Kamerabildern so gut wie nie auf, weil sie eben fotografisch selten einzufangen sind. Die Bilder einer Gasexplosion verraten im Allgemeinen nichts Verlässliches über ihre Ursachen. Bleibt als Mehrwert also nur die befriedigte Lust an der Sensation.

Und was passiert mit fundamentalen Persönlichkeitsrechten wie etwa dem Recht am eigenen Bildnis? Demnach darf man Nicht-Prominente nicht einfach ungefragt fotografieren oder filmen. Natürlich sind solche Rechte verhandelbar, aber wollen wir tatsächlich mit dem Finger in der Nase gefilmt werden? So ungustiös das sein mag: Jeder hat ein Recht darauf, sein wenig animierendes Geschäft möglichst im Privaten auszuüben. Die Privatsphäre schrumpft jedoch massiv, wenn die ganze Welt durch Periscope und Co zu einem Fernsehstudio wird.

Vielleicht sind solche Ängste ja unbegründet und wir entscheiden uns, als Ein-Mann- und Ein-Frau-Fernsehstation vernünftig zu agieren und die neuen Live-Apps verantwortungsbewusst einzusetzen. Nach oben ist bekanntlich viel Luft. Nach unten auch.

 

Und aus!

(aus: Ö1-GEHÖRT, Mai 2015)

Ständig online sein, ist auch kein Honiglecken. Digitale Enthaltsamkeit ist vielleicht das nächste Mantra.

„Bildschirme stören wie Passivrauchen.“ Der das sagt, ist kein Verächter des Digitalen, im Gegenteil: Clay Shirky unterrichtet Theorie und Praxis der Sozialen Medien an der New York University. Trotzdem verbietet er in seinem Unterricht Laptops, Tablets und Smartphones. Einfach, weil ihm das Maß an Ablenkung, das die Gerätschaften bieten, irgendwann zu viel wurde.

Das Handy und seine großen Verwandten sind einfach wunderbare Prokrastinationsinstrumente, also Mittel, um unangenehme Arbeiten aufzuschieben oder irgendwie auszublenden.

Ein Philosophieprofessor aus Kopenhagen hat es Shirky gleichgetan – und gleich selbst die Konsequenzen gezogen: Er verwendet keine Powerpoint-Präsentationen mehr, sondern schreibt wieder mit weißer Kreide auf die Tafel. Das habe den Effekt, dass die Studenten bei Prüfungen endlich nicht mehr seine Formulierungen von den Folien verwenden, sondern sich zu seinen Stichworten tatsächlich etwas überlegen müssen.

Der Mensch ist einfach kein Multitasker. Wir haben nur ein beschränktes Maß an Aufmerksamkeit zur Verfügung. Teilen wir es auf zwei, drei Dinge auf, bleibt für die einzelnen Aufgaben kaum mehr was übrig. Deshalb können wir uns, laut dem Neurobiologen Martin Korte, auch kaum etwas nachhaltig merken, wenn wir uns nur unter anderem damit beschäftigen.

Oder wir laufen, weil durch den ständigen Blick aufs Smartphone abgelenkt, in ein Auto. In Oregon sprechen die Busse deshalb. Wenn sie abbiegen, warnen sie Fußgänger über einen Lautsprecher. Ein Sheriff in New Jersey erledigt das Problem auf die harte Tour: Wer sich auf der Straße beim „distracted walking“, also abgelenkt durch seinen digitalen Alltagsbegleiter, erwischen lässt, bekommt einen Strafzettel.

Vielleicht kriegen wir es ja auch so hin, die Welt wieder mehr durch die eigenen Augen als durch die Optik der Computer zu betrachten. „Analog ist das neue Bio“, hat der Autor André Wilkens den Trend zur digitalen Enthaltsamkeit formuliert. Man muss ja kein völliger Digi-Abstinenzler werden. Ein kontrollierterer Umgang mit dem Netz und den kleinen Weltmaschinen würde schon helfen.

Versagt man dabei, kann man immer noch Hilfe bei einer App suchen: Amerikanische Studenten haben für ihre Kollegen „Pocketpoints“ entwickelt. Wenn es die Studiosi schaffen, während einer Vorlesung das Handy nicht anzurühren, bekommen sie von der App dafür eine Belohnung – Pocketpoints nämlich. Die können sie dann in einem Restaurant einlösen. Dann wird man wenigstens nicht vom Computer fett, sondern weil man die Finger davon lässt.

 

Vermessen!

(aus: Ö1-GEHÖRT, April 2015)

Wahr ist alles, was man messen kann. Das habe ich zumindest bisher gedacht. Aber schön langsam wird mir die „Vermessenheit“ unserer Welt zuviel.

Ich habe immer mindestens zwei Thermometer daheim. Ich brauche sie nämlich zum Kochen – da ginge es zwar auch ohne, aber so fühle ich mich sicherer bei der Entscheidung, wann der Braten aus dem Rohr muss. Und auch abseits der Küche geben Daten und Fakten Sicherheit: Kürzlich erreichte ich auf der Speedstrecke am Nassfeld mit den Schiern fast 87 km/h. Wenn man Angst so einfach quantifizieren kann, ist sie leichter erträglich – im Nachhinein. Oder wie froh bin ich um den wetterprophetischen Luftdrucksensor, sprich das Barometer, das ich mit dem Computer gekoppelt habe.

Aber jüngst brachte meine Herzdame ein Armband heim, das die Schritte zählt und ans Handy meldet, wenn man sich nicht genug bewegt. Es wurde ein sehr stiller Abend, weil ich – in mir und auf dem Sofa ruhend – meine Frau kaum sah, außer wenn sie vorbeihetzte. Da wusste ich, das Quantified Self, der Trend zur Selbstvermessung, ist auch bei uns eingezogen, als würde es nicht schon reichen, dass die Fitness-App immer wieder nervt und zum Joggen ruft. Dann berichtete mir mein Neunjähriger auch noch von einer Smartwatch für Kinder. Sie informiert die Eltern zum Beispiel, wenn sich die Kleinen nicht genug bewegen, weil sie zu viel vor dem Fernseher sitzen. Und: will haben, eh klar.

Das bringt mich zum obligatorischen „ja eh, aber…“ Erstens lasse ich mir die Fernseherziehung nicht von einem Minicomputer aus der Hand nehmen, und zweitens soll mich Lockenkopf gefälligst nicht für so blöd halten, dass ich auf seinen Schmäh hereinfalle. Ja, bitte. Und drittens wird uns die Selbstvermessung noch schön knebeln. Versicherungen werden sich um die Daten aus unseren smarten Fitnessgeräten reißen, um unsere Krankheitsrisiken besser abschätzen zu können, und irgendwann werden kleine Sensoren in unseren Blutbahnen schwimmen, die umgehend an die Sozialversicherung melden, wenn wir uns aufregen oder mal einen Abend gehen lassen, wann wir Fett verbrennen oder aufgrund von Faulheit grad aufbauen. Und wer in so einer Gesundheitsdiktatur, die aus einem Käfig von allgemeinverbindlichen Werten besteht, nicht spurt, wird bestraft, zum Beispiel durch höhere Beiträge. Weil jeder ist ja eine normierte Maschine und daher selbst verantwortlich für sein Cholesterin, egal wie hoch die erbliche Komponente dabei ist. So ähnlich stelle ich es mir halt vor. Und möchte bitte nicht Recht behalten.

Sollte mein Sohn noch einmal nach der Smartwatch fragen, schenke ich ihm den Kinderspion. In Rosa.

 

„Bitte den Lachs einlegen!“

(aus: Ö1-GEHÖRT, März 2015)

Wenn Maschinen Autos zusammenbauen, werden sie wohl auch kochen können. Ein kulinarischer Selbstversuch mit einem intelligenten Kochtopf.

Es müsste nicht so sein, aber Männer sind einfach geräteverliebter, technikaffiner. Das zeigt sich auch in der Küche. Ich koche gern mit Thermometer – und dem begleitenden Gespött meiner Liebsten. Nun habe ich einen WMF-Kochtopf in die Hand bekommen, der sich mit einem Tablet vernetzen lässt. Der Temperatursensor im Deckel des Gartopfes kommuniziert mit einer App.

Wir setzten uns kulinarisch ein sehr, sehr einfaches Ziel: „Zitronenlachs mit Erdäpfelspalten“, nichts, das ich freiwillig anstreben würde. Es begann mit menschlichem Versagen. Meiner Liebsten waren die Kartoffeln nicht gut genug geschält, wofür die App nichts konnte. Das war meine Schuld. Ich wünschte mir daraufhin einen Küchenroboter. „Das bin ohnehin ich“, meinte daraufhin mein kulinarischer Schatten, obwohl normalerweise ich die Küche bespiele.

Die Koch-App wollte von uns die Meereshöhe wissen, um die Gartemperatur zu bestimmen, sowie Größe und Temperatur der Zutaten. Und sie vernetzte sich auch gleich mit dem Kochtopf. Dann ließ sie uns wissen, wir sollten 0,7 Liter Flüssigkeit zum Garen einfüllen und losstarten. Drei Minuten später kochte der Sud, aber die App wusste nichts davon. Sie hatte die Verbindung zum Topf verloren. „Wir werden wohl zum Wirtn ums Eck gehen müssen“, hörte ich es neben mir murmeln.

Wir vernetzten Herd und Hirn (das elektronische) noch einmal miteinander und durften endlich die Kartoffeln einlegen, sieben Minuten später dann den Lachs samt Dill und Zitronenscheiben.

Und plötzlich wurde die App verhaltenskreativ. Mit 84 Minuten rückte der Fertigstellungszeitpunkt der Erdäpfel in weite Ferne. „Da können wir Püree draus machen“, kommentierte mein weibliches Küchengewissen mit einem Seufzer und kritisierte, dass die Zutatenliste auf der App keinen Küchen-Betriebswein kannte.

Aber das Tablet warnte uns immerhin vor: Lachs und Kartoffeln würden nicht gleichzeitig fertigwerden. Das hätten wir so auch gewusst, aber danke für die Aufmerksamkeit.

Wir retteten den Lachs dann aus dem Garer – der war immerhin perfekt gelungen. Seltsam war’s trotzdem, so eingespannt zu sein in eine digitale Küchenmaschinerie, in der man nach einer gnadenlosen Checkliste kocht.  Für wen die Küche Neuland ist wie das Internet für Angela Merkel, für den ist der digitale Kochtopf wohl tatsächlich eine Unterstützung. Aber wenn die „künstliche Intelligenz“ Aussetzer hat, bewährt es sich, mit menschlichem Wissen weiterzumachen und die Kontrolle über die Maschinen zu behalten. Ich möchte in der Küche weiterhin der Chef bleiben. Aua… naja, wenigstens der Sous-Chef.

 

 

Den Kopf in der Wolke

(aus: Ö1-GEHÖRT, Februar 2015

Ich bin auf Reisen. Weitab vom Schuss. Und damit weit weg vom Netz. Eine Herausforderung.

Es begann schon am Flughafen. Der graue Monitor für Abflugzeiten und Gates war bodennah angebracht. Schnittlauchlocke, mein kleiner Sohn, ging hin und tatschte mal kräftig drauf, so wie er es vom Tablet gewohnt ist. Keine Ahnung, was er damit wollte. Dass plötzlich Hayday am Monitor erscheint – ein Spiel, in dem man ständig säen, ernten und verkaufen muss, war nun wirklich nicht zu erwarten. Aber eh klar, wir leben in einer „Tatsch-Gesellschaft“, auch wenn der politisch korrekte Ausdruck angesichts all unserer Touch-Screens wohl „Touch-Society“ sein müsste.

Und dann fiel mir ein, dass man mittlerweile auch von einer „Heads Down-Generation“ spricht. Das sind wieder mal die von den neuen Technologien in ihrem Verhalten schwer beeinträchtigten jungen Menschen, die ständig den Blick auf das Smartphone gerichtet haben – egal ob sie simsend am Gehsteig dahin wackeln oder auf ein öffentliches Verkehrsmittel warten. Dass wir ihnen den exzessiven Gebrauch unserer neuen Technologien ebenso exzessiv vor machen, davon redet ja keiner. Das Böse ist immer das, was nach uns kommt.

Tatsache ist, die Neuen Medien formen auch unseren Körper. Nein, nicht nur durch die Fitness-App „Sixpack“ am Tablet (die formt mich leider eh überhaupt nicht, obwohl’s notwendig wäre… ). Der Couchpotatoe ist diesbezüglich schon ein Anachronismus aus der alten Fernsehwelt. Die Jungen schauen ja nicht mehr fern, sondern starren auf Youtube oder laden sich bei Bedarf amerikanische Serien runter.

Als Beleg für die modernen körperformenden Digitaltechnologien wollte ich eigentlich den Mausfinger anführen, der bei zu häufigem Klicken zu schmerzen beginnt. Aber der wurde mittlerweile schon von der iPhone-Schulter abgelöst. Und dann ist da auch noch der SMS-Daumen. Aber da weiß ich nicht, ob ich mir den nur eingebildet habe. Und im Netz nachschauen kann ich auch nicht. Siehe oben.

Ich bin in der digitalen Wildnis. Die Wolkenmädchen von Sigiriya im Herzen Sri Lankas geben diesbezüglich keine Antwort. Sie wurden schon vor mehr als 1000 Jahren auf den Felsen gemalt.

Und das ist wohl die viel wichtigere Nebenwirkung der virtuellen Welt. Ein Teil meines Gedächtnisses liegt in der Cloud, in der Wolke. Und wo die ist, weiß ich nicht einmal. Ich habe Wissen ausgelagert. Manchmal ist das ganz befreiend. Aber nicht, wenn ich merke, wie abhängig ich von dieser Wolke geworden bin.

Und ich weiß nicht einmal mehr, ob der Monitor am Flughafen, wie eingangs behauptet, tatsächlich grau war.

 

Wir haben uns wegrationalisiert

(aus: Ö1-GEHÖRT, Jänner 2015)

In den nächsten zwanzig Jahren wird jeder zweite Arbeitsplatz durch einen Computer oder Roboter ersetzt, sagen zwei Forscher der Universität Oxford. Eine schaurige Vorstellung? Ja, aber mit Hoffnung.

Menschen in anspruchsvollen Berufen haben sich lange Zeit sicher gewähnt vor den Maschinen. Jetzt scheint eine Schwelle überschritten zu sein, hinter der auchbürgerliche Berufe von künstlicher Halbintelligenz übernommen werden. Carl Benedikt Frey und Michael Osborne setzen in ihrer Studie etwa Bankangestellte, Buchhalter und Immobilienmakler auf die rote Liste der vom Aussterben bedrohten Job-Arten. Haben uns die Roboter bisher beim Arbeiten vor allem unterstützt, übernehmen sie jetzt in vielen Feldern die Kontrolle. Selbst Köche, Busfahrer und Piloten müssen um ihre Erwerbsbasis fürchten.

Damit wären wir endlich an dem Punkt angelangt, an dem die Wirtschaft zwar rechnerisch wächst, aber die Konsumenten abschafft – mit einem entscheidenden Nachteil für das auf Wachstum basierende System: Wer nichts verdient, kann auch nicht konsumieren.

Schon seit rund zwanzig Jahren sinken die Einkommen aus angestellten Tätigkeiten, während die sogenannten „arbeitslosen“ Einkommen, etwa aus Finanzerträgen oder auch aus Besitz, von Jahr zu Jahr steigen. Diese Schere hat sich also schon vor zwei Jahrzehnten geöffnet. Der weitgehende Verzicht auf Mitarbeiter wäre nur die logische Konsequenz nach ihrer finanziellen Austrocknung. Und dass sich dies eine Gesellschaft nicht gefallen lässt, die die Produktionsmittel ja selbst weiterentwickelt hat, ist auch klar.

Zu Jahresbeginn erlaube ich mir daher einen frommen Wunsch, gepaart mit einer Überlegung: Maschinen treiben uns seit rund 150 Jahren vor sich her. Sie haben die Webstühle übernommen, die Kutschen ersetzt oder den Schmieden den Hammer aus der Hand gerissen. Nun übernehmen sie Arbeiten, die bis vor kurzem nur kraft der Wabbelmasse unter unserer Schädeldecke verrichtet werden konnten. Das ist ein massiverer Eingriff als alles zuvor. Aber statt uns in typisch österreichischer Manier als Opfer zu verstehen, könnte man diesen Paradigmenwechsel auch als Chance sehen. Wenn es keine Lohnarbeit mehr gibt, müssen wir auch das Einkommen von der Arbeit entkoppeln und stattdessen zu einem Grundeinkommen übergehen.

Unbezahlte Arbeit wartet jede Menge auf uns. Was spricht dagegen, sich kommunal in einem Bildungsprojekt zu engagieren, sich etwas mehr um die gehbehinderte Seniorin in der Wohnung nebenan zu kümmern oder ein Reparaturprojekt aufzuziehen. Endlich würden uns die Maschinen Zeit schenken, wichtige Dinge anzugehen.