Kolumnen 2014

Ich will alles. Sofort. Will ich das?

(aus: Ö1-GEHÖRT, Dezember 2014)

Das Netz hat 24 Stunden geöffnet, 7 Tage die Woche. Die Erfüllung eines Wunsches ist nur einen Klick weit weg. Manchmal bereitet mir das Unbehagen.

Kürzlich schickte mir der Onlinehändler meines Misstrauens zwei Leintücher mit bunten Autos. Mein fünfjähriger Sohn hatte am Tablet eine Art virtuelles Window-Shopping betrieben und auch gleich bestellt. Von dem Plastikschrott, der einen Tag später kam, will ich gar nicht reden. Aber: Es war meine Schuld. Ich hatte mich nicht ausgelogged.

Von meiner Dummheit abgesehen, hat das Verhalten meines Buben mehr mit mir zu tun als mir lieb ist. Wann immer es Begehrlichkeiten oder Wünsche gibt, greift jeder in der Familie zum Tablet und tippt den Suchbegriff ein. Dann steht man auch schon mitten in einem Online-Shop, ohne dass man je die Couch verlassen hätte müssen, geschweige denn eine schwere Glastür öffnen, auf der man wie immer Push und Pull verwechselt hätte. Der größte Einkaufstempel der Welt ist immer nur drei Schritte weit weg, egal wo in der westlichen Welt man sich befindet. Solange man eine Handy- oder Internetverbindung hat.

Nun bin ich gar kein großer Einkäufer. Wenn ich mit meiner Frau ein real existierendes Shopping-Paradies betrete, bekomme ich sofort einen Komolka – so benannt nach dem ersten Geschäft, in dem ich ermattet vom textilen Überangebot auf einen von gefühlten tausend Stoffballen niedersank und kaum mehr aufstehen konnte. Einkaufen mit mir ist also suboptimal. Zumindest für Frauen.

Im Netz ist das alles anders. Ein Impuls, ein Klick, eine Lieferung. Und schon wieder ein Schachtelberg beim Altpapier. Seit einiger Zeit geht mir diese Instant-Befriedigung auf die Nerven. Die Vorfreude reduziert sich. Weil es kaum mehr ein Vorher gibt. Der unnötige Schrott nimmt zu. Weil es kein Vor-Überlegen mehr gibt. Der Konsum nimmt unbewusste Züge an. Er passiert nebenher. Die Sofort-Erfüllung killt die Lust, die ein Vorher braucht.

Wenn das in der Liebe auch mal so wird, dann kann ich meinen Ring wieder einschmelzen lassen.

Ich setze jetzt auf Entschleunigung. Kaufe ich irgendeine Hardware im Netz, egal ob ein Griller oder eine Festplatte, lasse ich die Dinger erst mal ein paar Tage im Einkaufskorb liegen, bevor ich mich entscheide. Und Lebensmittel bestellen wir jetzt einmal die Woche bei speiselokal.org. Am Wochenbeginn überlegen und ordern wir, am Wochenende holen wir das Paket von einem Bauernhof im Wienerwald ab.

Da hat man wenigstens ein paar Tage Zeit, sich zu freuen.

 

Ich, Ich, Ich!

(aus: Ö1-GEHÖRT, November 2014)

Verkommen die sozialen Netzwerke zu einer Auslage für Millionen Ich-AGs? Nein, so schlimm ist es nicht. Aber ein bisschen nerven die vielen Ego-Trips im Internet schon.

„Ups, da hat mich doch glatt ein Fotograf beim Plausch mit dem Minister erwischt!“ So werden auf Twitter oder Facebook üblicherweise Beweisfotos von Treffen mit hochrangigen Persönlichkeiten eingeleitet, als wäre der Betroffene überrascht, dass der anwesende Fotograf auch seinen Job macht. Natürlich geht es nicht darum, „erwischt worden zu sein“. Es geht darum, seine Haut auf dem globalen Marktplatz zur Schau zu stellen.

Menschen sind heute nicht eitler als früher, vermute ich mal. Gestiegen ist aber der Zwang zur Selbstvermarktung. Die Ich-AG (eine der dümmsten Wortschöpfungen der letzten Jahre) sucht ständig nach Absatzmärkten und steht unter ständigem Werbedruck.

Der Spaßfaktor bei dieser Art der Selbstvermarktung ist nur vordergründig hoch. Der ständige Selbstpräsentationszwang im Netz hat auch etwas Erdrückendes. Wer sich nicht zeigt im World Wide Web, den scheint es in gewissen Kreisen von Digitalafficionados nicht zu geben. Aber auch diese Angst vor der Unsichtbarkeit kommt mir nicht wesentlich neu vor: Ein Hobbyhistoriker verweigerte einmal ein Interview, weil das Fernsehen nicht zur Einweihung eines von ihm initiierten Marterls gekommen war. Ohne Kamera hatte das Geschehen seiner Meinung nach nicht stattgefunden.

Faktum ist: wir leben heute in mehreren Welten, die verschmelzen: in der physischen und der digitalen. Wenn wir Geld am Bankomaten beheben, holen wir es aus der virtuellen in die reale Welt zurück. Und auch unser Bildnis und unsere Leistungen liegen deshalb folgerichtig in der virtuellen Auslage.

Darum ist auch das Selfie, das rituelle Eigenporträt, dem man weder auf Twitter noch Facebook entkommt, nicht unbedingt ein Ausdruck des übersteigerten Narzissmus. Nein, es ist vielfach der Schrei „Ich bin auch da“ in einem System, das alles und jeden zur Ware verkommen lässt. Es ist der Schrei der Ware nach Nachfrage. Das hat etwas Beschämendes und gleichzeitig ist es Normalität, wie viele Ungeheuerlichkeiten, an die wir uns gewöhnt haben. Und es nervt. Vielleicht, weil wir das leise Betteln unter den Text- und Bildselfies nicht hören wollen, das da lautet: „Leute, die Zeiten sind hart. Aber bitte vergesst nicht auf mich!“

 

Können Sie Hilfe mir?

(aus: Ö1-GEHÖRT, Oktober 2014)

Wir haben die E-Mail-Spammer bisher gründlich missverstanden. Es sind verzweifelte Menschen. Sie schicken millionenfach elektronische Briefe, weil niemand ihre Probleme ernst nimmt. Und deshalb verdienen Sie Hilfe, auch per Mail.

Kürzlich mailte mir ein verzweifelter Herr aus England: Mein Name ist John K Martins und ich bin der Chef von der Barclays Bank Nottingham. Ich bin verheiratet mit 3 Kindern. Ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich Ihre Hilfe brauche. Die Summe von 16,5 Millionen britische Pfund blieb in meiner Bank von der späten Hugo Chavez. Ich muss das Geld dringend von meiner Bank auf Ihrer Bank zu übertragen, damit wir beide das Geld teilt.

„Lieber John Martins,

wie haben Sie es nur geschafft, drei Kinder zu heiraten? Ihre sozialen Talente müssen wahrhaft groß sein. Aber polygam und pädophil auf einmal: Sie stecken – nicht nur nach englischem Recht – in „deep shit“. Immerhin verstehe ich, warum Sie so viel Geld brauchen. Mehrfach-Ehen sind teuer. Bitte setzen Sie sich dennoch umgehend mit der Krisenintervention in Verbindung. Auch sollten Sie angesichts der Lage Ihrer Bank in Nottinghamshire zusehen, dass kein Mann in dessen Wäldern von Ihrem Reichtum erfährt. Er könnte, gewandet in Strumpfhosen und in räuberischer Absicht, bei Ihnen auftauchen. Ihre Übersetzungsmaschine würde den Herrn wohl „Robin Kapuze“ nennen. Wenn es Ihnen hilft, überweisen Sie mir a.s.a.p. 8,25 Millionen Pfund, am besten in kleinen Scheinen, auf mein Konto bei der Postsparkasse.“

Juan Morato von der Unicaja-Bank hat eher technische Probleme. Er entdeckte eine schwimmende Fonds  auf einem Konto…

„Bitte verankern Sie den Fonds ehestmöglich, ehe er fort treibt. Angesichts der Klimaerwärmung häufen sich Starkwetterereignisse wie stürmische Krisen, die Ihre Anlagen schnell hinwegfegen könnten.“

Besonders betroffen machte mich der Hilferuf von Tammy Andreas. Sie hat 4,9 Mio USD auf ihren Konten liegen und bei der Arztwahl einen katastrophalen Fehler begangen: Die Ärzte hat mir geraten, dass ich nicht länger als 2 Monate zu leben. Können Sie Hilfe mir?

Was schreibt man so einer verzweifelten Frau, die dabei ist, ihr Leben auf ärztliches Anraten wegzuwerfen?

„Liebe Tammy, wählen Sie Ihre medizinischen Berater in Zukunft besser aus und arbeiten Sie an Ihrer Menschenkenntnis. Yes, You can!“ Oder als korrekte Vorlage für Google Translate: „Ja, Sie Dose!“

 

Du Traumfabrik, du

(aus: Ö1-GEHÖRT, September 2014)

Smartphones führen ab und zu ein starkes Eigenleben. Und ich rede jetzt nicht davon, dass die internetfähigen Handys über zweifelhafte Apps unsere Fotos und Kontaktlisten ausspionieren und an irgendwelche Datensammler weiter leiten.

Ich rede von der Autokorrektur. Das ist eine Funktion, die selbständig Kurznachrichten „verbessert“ – oder so tut als ob.

Wir müssen mal ein paar Griechen weglegen. Jener Mann, der dies kürzlich an seine Partnerin schrieb, ist ausdrücklich kein Vertreter der Austeritätspolitik. Nein, er ist ein Opfer des iPhones. Eigentlich wollte er sich selber zum Sparen ermutigen und ein paar Groschen weglegen. Die Autokorrektur zensurierte diese Absicht allerdings zugunsten eines breiteren wirtschaftlichen Ansatzes und offenbar inspiriert vom EU-Stabilitätspakt.

Im 18. Jahrhundert entwickelte der Wiener von Kempelen einen Schachroboter, der als „mechanischer Türke“ bekannt wurde. Tatsächlich saß in dem Gerät ein Mann, der die Figuren bediente. Vielleicht sitzt auch in der Autokorrektur irgend ein Männlein. Wenn, dann ist er nicht nur neoliberal, er hat auch einen Hang zur Nekrophilie. Schreiben Sie mal Unmengen. Sofort wird daraus Urnen. Kürzlich gab ich meiner Liebsten die Ankunftszeiten meines Zuges via SMS durch. Was auch immer ich schrieb: es wurde ein flapsig angedrohter Suizid daraus, was auf der Empfängerseite vorsichtig ausgedrückt mit etwas Überraschung quittiert wurde. Zumal im SMS davor schon von den eben erwähnten Urnen die Rede war.

Und Romantiker ist der Autokorrektor auch keiner. Er vereitelt und verbiegt Liebesgeständnisse. Nicht jede Angebetete hält den Beziehungsleistungsdruck aus, in Kurznachrichten als Traumfabrik tituliert zu werden, statt als Traumfrau. Besonders fragil wird das Liebesgesimse, wenn Sie Ihren Schatz unzutreffend mit Gerti ansprechen, obwohl sie eigentlich nur Herzi angetippt haben. Dass die Antwort eher böse ausfällt und die Frage enthält, ob man die SMS wohl an die Falsche geschickt habe, ist verständlich.

Eine große Schwäche zeigt die Autokorrektur in Sachen Ernährung. Ich sitze am Leberkäs und mache Zeugniskopien. Klingt ein bisschen nach einem alternativen Zugang zu einheimischem Fast Food. Gemeint war allerdings Lebenslauf, der bei manchen ja durchaus vom Leberkäse geprägt ist.

Aber natürlich hat die Autokorrektur auch ihr Gutes. Menschen, die die Tasten so wie ich nicht mit der Präzision der Dauersimser treffen, profitieren von der Korrekturmaschine. Dafür sage ich ehrlich Danke, Ute Korrektur. Äh, Autokorrektur.

 

Die Kinderfalle

(aus: Ö1-GEHÖRT, August 2014)

Manche Kinder kenne ich nur aus Facebook. Dafür weiß ich über jeden ihrer Schritte Bescheid. Wollen die Kids das überhaupt?

Rita hat gerade ihren ersten Tag auf Schiern verbracht und gibt sich unglaublich talentiert. Luca schickt mir mit einem Blumenstrauß Frühlingsgrüße, und Ben schaut mit seinen kaum 12 Monaten so interessiert in die Kamera, wie er das seit seiner Geburt in regelmäßigen Abständen eben tun muss.

Mag sein, dass auch etwas Neid dabei ist, wenn ich bei meinen raren Facebook-Besuchen über die neuesten Bilder von Freundes- und Bekanntenkindern stolpere samt der dazugehörigen Heldengeschichten. Schließlich sorgen die zahlreichen Kinderpostings doch für eine erhebliche Präsenz der Kleinen.

Ich selber habe aber nicht den Mut, meine Kinder im weltweiten Netz auszustellen – und vor allem jede Menge Bedenken dagegen. „Sharenting“ hat der britische Guardian vor rund einem Jahr das Phänomen genannt, dass Eltern jede Regung ihrer Kinder, vom Säuglings- bis ins Teenageralter, samt Bild posten. Sharenting ist die Vermischung von Elternschaft und Teilen, parents and sharing, und besonders beliebt bei Menschen, die mit sozialen Netzwerken groß geworden sind.

Natürlich: wenn Menschen sich treffen, die zu Eltern mutiert sind, wird viel über den Nachwuchs geredet. Aber muss man das am globalen Dorfplatz namens Internet fortsetzen? Wird klein Jan es wollen, dass man ihn auch in 20 Jahren noch mit schokoladeverschmiertem Gesicht im Netz findet samt Geschichten über vereinzelte Fälle von Bettnässerei? Und wird Rita daran erinnert werden wollen, dass sie mit zwei aussah wie eine überfütterte Made?

Nicht jeder fortgeschrittene Abend eignet sich für Fotos, die potentiell die ganze Welt sehen kann, vom Arbeitgeber bis zu Menschen, die einem nicht wohlgesonnen sind. Das Netz vergisst nicht, heißt es. Und Kleinkinder können wir nicht einmal fragen, ob sie vor Freunden und Fremden ausgestellt werden wollen wie eine Jagdtrophäe.

Wie sehr die elterlichen und kindlichen Mitteilungsbedürfnisse auseinanderklaffen, beschrieb vor einigen Wochen Tatiana Boncompagni in der „New York Times“. Ihr 9jähriger Sohn verbat ihr schlicht und einfach, ein Ausflugsbild mit ihm online zu stellen. Das Argument „Du bist mein Kind und ich bin stolz auf dich“, beeindruckte den kleinen Mann überhaupt nicht. „Es ist mein Bild“, war sein Gegenargument.

Letztendlich wird wohl die Dosis des Sharenting ausmachen, ob es zu digitalem Gift wird. Man will ja auch nicht digital „verdammt“ werden, nur weil man über Kinder berichtet – so wie es „unbaby.me“ macht. Das jetzt „rather“ genannte Zusatzprogramm zu Internetbrowsern blockt im Netz unerwünschte Postings, zum Beispiel Babyfotos – und ersetzt sie durch eigene Favoriten, etwa durch Katzenbilder. Da habe ich noch lieber Windelgeschichten.

Totes Holz ist überschätzt

(aus: Ö1-GEHÖRT, Juli 2014)

Ich möchte mich outen. Ich lese E-Books. Und das mit Vergnügen.

Daheim liegen immer ein, zwei Lesegeräte herum. Ja, „Lesegeräte“. Und damit meine ich nicht gedruckte Bücher, sondern tatsächlich ihre elektronischen Nachfolger. Wir haben häufig Gäste. Die nehmen die E-Reader dann in die Hand, sei es ein Kindle oder ein iPad, und lassen sich das elektronische Lesen mal zeigen. Die Reaktion ist fast immer: „Ja, eh, aber…“

Unter „aber“ ist zuallererst mal anzuführen: „Aber ich habe die Bücher gern in der Hand, ich brauche das haptische Erlebnis und den Geruch.“ Oder: „Aber ich möchte meine Bücher im Regal sehen, das geht bei elektronischen Ausgaben nicht.“ Oder: „Bei einem Buch weiß man sofort, wie weit man schon gelesen hat.“

Ja, eh, aber…

Ich will diese Einwände gar nicht entkräften, sondern nur ein paar Argumente für elektronische Bücher anführen. Seit wir die E-Reader haben, lese zumindest ich mehr. Da wären einmal die kostenlosen Leseproben, die man sofort auf den Geräten hat , um dann in Ruhe reinzuschmökern, naja – „schmökern“ trifft’s nicht mehr ganz, aber „reinreadern“ klingt auch nicht gut. Und wenn mir das Buch gefällt, bestelle ich es mit einem Knopfdruck online – und 15 Sekunden später ist es in meiner elektronischen Bibliothek. Wie lange warten Sie auf Bücher aus totem Holz? Und wie oft kaufen Sie Bücher nicht, weil sie nicht gleich verfügbar sind?

Dass elektronische Bücher den kleinen Buchhandel umbringen, stimmt auch nicht mehr. Es muss nicht Amazon sein. Viele innovative Buchhändler verkaufen bereits E-Books und schicken ihren Kunden umgehend den Link zum Buch.

Vor zwei Jahren habe ich mit meiner Familie Mittelamerika bereist. Spontan beschlossen wir, Nicaragua zu besuchen. Unser Wissensstand über das Land beschränkte sich auf Klischees. Also kauften wir im nächsten Internetcafé den elektronischen „Lonely Planet“ für unsere mobile Bibliothek. Sie wog zwar nur 170 Gramm, enthielt aber rund 200 Bücher.

Und ein ganz praktisches Argument: da ich mich geweigert habe, jung zu sterben, mag ich es, dass man am E-Reader die Schriften vergrößern kann.

Einen Einwand gegen elektronische Bücher lasse ich kurz einmal gelten: es ist nicht ganz klar, wem die Geschichten gehören. Amazon hat wiederholt Ausgaben zurückgezogen und vom Kindle gelöscht. Andererseits: Geschichten existieren unabhängig von Papier und Bits und Bytes. Geschichten eignet man sich an, indem man sie liest, egal über welche Technologie.

Und deshalb sind es derzeit vor allem die Vielleser, die zum elektronischen Buch greifen.

Seit ich mit meinem Kollegen Wolfgang Ritschl, Produzent der Sachbuchsendung „Kontext“, das Büro teile, kann ich auch allen romantisierenden Bibliotheksvorstellungen nichts mehr abgewinnen. Wir hausen hier mit circa 2.000 Büchern. Manchmal ist mein Schreibtisch hinter den Neuerscheinungen gar nicht mehr zu sehen. Dazu der Geruch von holzigem Staub, den nicht einmal zwei Männer übertünchen können… Das will schon was heißen.

Als Autor sage ich hingegen: Ich habe gerade meine letzte Bücherabrechnung gesehen. Da machen die E-Books nicht einmal ein Viertel des Verkaufs aus. Insofern: greifen Sie ruhig zur plattgewalzten Zellulose. Den Geschichten ist es egal, ob man sie mit Druckerschwärze oder E-Ink darstellt. Hauptsache, sie werden gelesen.

 

Digitalfrust

(aus: Ö1-GEHÖRT, Juni 2014)

Wir brauchen soziale Erfindungen. Und nicht nur ständig neue Hi-Tech-Werkzeuge.

Manchmal überfällt mich ganz puristisch der Technikfrust. Dann würde ich am liebsten den Stecker meines Onlinelebens ziehen und nur mehr sinnierend im Garten sitzen. Ohne meinen blumenfressenden Rasenmäherroboter, ohne defekte Bewässerungssteuerung und ohne Tablet, auf dem ich gerade noch nach Hilfe für ebendiese technischen Probleme gesucht habe.

Selber schuld. Ich bin eben auch drauf reingefallen, dass wir heute bei jedem Problem glauben, wir müssten es technologisch lösen. Die Politik schickt Drohnen, um den Strom von Flüchtlingen im Mittelmeer zu kontrollieren. Und ich investiere in alle Arten von Automatik, um meiner alltäglichen Zeitnot irgendwie Herr zu werden. Dabei ist die Überwachung aus der Luft keine intelligente Antwort auf Hoffnungslosigkeit und Verteilungsprobleme. Und mehr Maschinen lösen auch mein Grundproblem nicht: dass ich zu viel Zeit in der Arbeit verbringe, zu viele Interessen habe und der Tag einfach nur 24 Stunden lang ist.

Allerorten wird nach dem „technological fix“ gesucht, wie Technikphilosophen den Trend zur Problemlösung via Maschine nennen. Sogar Kollegin Nadja meinte kürzlich, ihr Leben vertrage keine Krise mehr, die sie nicht mit einer App auf ihrem Handy bewältigen könne.

Diese Technikbesessenheit lässt uns ganz vergessen, dass wir viel mehr soziale Erfindungen brauchen würden, etwa Pläne für ein intelligentes Schulsystem, in dem die Reaktion auf magere Test-Ergebnisse nicht der Ruf nach mehr PCs in den Klassen ist. In den 90er Jahren gab es in England ein „Institute of Social Inventions“, das in einer Enzyklopädie einfache und billige Lösungen geliefert hat für Probleme wie die Verschmutzung der Strände. Und Leonardo da Vinci  entwarf um 1515 ein U-Boot, das er nie realisierte, „weil es dazu führen würde, dass die Menschen dann auch auf dem Grunde des Meeres Krieg führen“. Diese Unterlassung nenne ich mal eine mutige soziale Erfindung.

Paradoxerweise ist es gerade ein komplexes Werkzeug wie das Internet, das soziale Erfindungen auch beschleunigen kann. Visionäre, die vor einem Vierteljahrhundert noch relativ isoliert  in ihrem Denkghetto saßen, erreichen nun auch weit entfernte Gleichgesinnte. Und dann entstehen Initiativen wie respekt.net,  das den Alltagsinnovatoren eine Plattform für die Finanzierung ihrer Projekte bietet, oder die Transparenzdatenbank meineabgeordneten.at, die die Verbindungen von PolitikerInnen zu Interessensvertretungen deutlich macht. www.arbeiter-kind.at wiederum stellt jungen Leuten MentorInnen zur Seite, damit sie die Hürde zum Studium schaffen.

Technik ist eben nicht ausschließlich gut oder böse. Vielleicht sollte ich meinen Rasenmäherroboter einfach in einen Nistkasten umbauen.

 

Marmelade und Mikroprozessoren

(aus: Ö1-GEHÖRT, Mai 2014)

Etwas selber zu können, bedeutet Freiheit. Egal ob es um das Einkochen von Früchten geht oder um das Programmieren von Mikrochips.

Ich habe irgendwie einen analogen Wahn. Ich bin nicht gern abhängig. Weder von der Lebensmittelindustrie, noch von Köchinnen. Und eigentlich auch nicht von den Elektronikriesen.

Zumindest in Sachen Küche habe ich mich – am Anfang gegen den Widerstand meiner Mutter, die ihren Herd bedroht sah – emanzipiert. Natürlich ist auch der Hedonismus eine Antriebskraft, nicht nur zur Konfektionsware aus dem Regal zu greifen und die immer gleichen Pasteten oder Konfitüren auf dem Tisch zu haben. Zumal es ziemlich einfach ist, zur Marillenzeit Früchte mit Ingwer oder Mandeln ins Glas zu füllen und dann mindestens sechs Monate damit angeben zu können.

In der Mitte der gartenfreien Zeit, im Jänner, kommen dann die aromatischen Orangen aus dem Süden. Dann werden Zesten von den Bio-Früchten geraspelt, in Whisky eingelegt und die Orangen veredelt. Auch Nudelteig ist keine Hexerei, meine Buben haben einen ziemlichen Spaß beim Auswalken und alle miteinander beim Essen (nur nicht beim Putzen der Küche, aber das ist eine andere Sache).

Irgendwie möchte man ja verstehen und wissen, was man da so in sich hineinschlingt.

Und ähnlich geht es mir zunehmend mit den zig elektronischen Gadgets, mit denen ich den Alltag teile. Nein, keine Angst, ich arbeite an keinem neuen Selbstbau-Handy für Dummies. Nein, mich beunruhigt einfach die Tatsache, dass wir keinerlei Ahnung mehr haben, was in den Mini-Computern vor sich geht, die unser Leben bestimmen. Oder wissen Sie, warum ein Gerät plötzlich den Geist aufgibt, ohne dass es irgendwelche Spuren von Beschädigung oder Defekt zeigt? Wir verstehen nicht einmal mehr, ob unser Smartphone aufgrund einer eingebauten Obsoleszenz – sozusagen durch einen vom Hersteller programmierten Gerätetod – den Geist aufgibt, oder ob ein mikroskopisch großer Bauteil durchgebrannt ist. Viele Geräte sind nicht einmal zu reparieren. Elektronikkonzerne geben die Reparaturmanuale zu ihren Hi-Tech-Devices so gut wie nicht aus der Hand.

Mittlerweile gibt es eine starke Szene, die sich gegen diese Entmündigung wehrt: Sie nennen sich Makers – das klingt gleich viel weniger nach Baumarkt als Bastler. Aus dieser Community, die IKEA-Möbel genauso zu eigenen Zwecken umbaut wie daheim Bier braut, sind auch Dinge wie Raspberry PI oder Arduino hervorgegangen – Mikroprozessoren bzw. Kleinstcomputer, die jeder mit wenig Aufwand und vor allem mit Hilfe einer weltweiten Gemeinschaft programmieren kann.

Ich habe Genuss und Mikrochips verbunden. Während einer langen Zugfahrt habe ich den Arduino – mit vielen Fehlversuchen – so programmiert, dass er mir beim Bierbrauen hilft. Jetzt steuert das 20 Euro teure Ding die Temperaturstufen, die ich für Ales oder Weizenbiere brauche.

Freund Stefan hat sich anstecken lassen. Er arbeitet jetzt an einem Rührwerk für unsere Punschtopf-Brauerei. Mal sehen, ob er Ende Juni dann auch Marillen einkocht.