Schlagwort: Klimaschutz

Wer die Zeche zahlt

Es war zweifellos das Leseerlebnis dieser Woche: „Global carbon inequality over 1990-2019“. Lukas Chancel listet in diesem „Nature Sustainability“-Artikel auf, wie ungerecht CO2-Emissionen je nach Reichtums-Niveau verteilt sind, national wie global.

Demnach hat die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung 2019 nur 12 Prozent der globalen Treibhausgase verursacht, das reichste Zehntel hingegen fast die Hälfte an CO2 und ihren Äquivalenten (also andere Treibhausgase eingerechnet).

Schlüsselt man die Verteilung nach Regionen auf, sind die Unterschiede ebenso krass: So emittieren die Top-Verdiener in den USA fast 70 Tonnen CO2 pro Person und Jahr, die untere Einkommenshälfte nur rund 10 Tonnen. In Europa stehen rund 30 Tonnen bei den Einkommensstärksten 5 Tonnen bei den finanziell Schwächeren gegenüber.

Der globale Durchschnitt liegt übrigens bei 6 Tonnen. In Österreich verantwortet jeder Mensch im Schnitt 7 Tonnen CO2-Äquivalente. Die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung verursacht hingegen nur etwa 1,4 Tonnen pro Jahr. Anschauliche Grafiken finden Sie im Artikel.

Aber genug der Zahlen. Fast noch interessanter sind die Schlussfolgerungen für die Klimapolitik. Erstens hat ein Großteil der Europäer das 2030er-Ziel des Paris-Abkommens bereits erreicht (6 Tonnen). Vor allem die untere Einkommenshälfte hat die Vorgaben fast zur Gänze erfüllt, so die Berechnungen von Chancel. Deren Emissionen sind seit den 1990er Jahren auf Grund von Lohnverlusten, geringeren Konsummöglichkeiten oder Energieeffizienzmaßnahmen um 25-30 Prozent gefallen.

Ganz anders sieht die Lage bei den Vermögenden aus. Als Beispiel seien die USA oder China genannt. Dort müssten die reichsten 10 Prozent ihren Treibhausgasausstoß um 86 Prozent bzw. 70 Prozent reduzieren, um die Paris-Ziele für 2030 zu erreichen (ein Großteil dieser Emissionen kommt nicht aus dem privaten Konsum, sondern Investitionen).

Wie zieht man also die Hoch-Emittenten zur Verantwortung? Sehr viel Klimapolitik wurde in der Vergangenheit auf Kosten der Ärmeren gemacht, die ohnehin weniger Klimaschäden verursachen, meint Lukas Chancel. Das sei unverhältnismäßig. Eine zukünftige CO2-Bepreisung müsse daher mit Umverteilung gekoppelt sein, da vor allem Einkommensschwächere oft keine Konsumalternativen hätten, während Investoren sehr wohl überlegen könnten, in welche Technologien sie investieren.

Chancel denkt auch an eine Steuer, die mit zunehmenden Emissionen steigt. Dabei treffen sich seine Schlussfolgerungen mit jenen des Club of Rome: den Großteil der „Zeche“ werden die Begüterten zahlen (müssen). Die 1 Prozent Topverdiener:innen des Planeten tragen demnach rund 40 Prozent zu CO2-Steuern bei, die obersten 10 Prozent schultern ingesamt fast drei Viertel der finanziellen Last, so der Plan. 9 von 10 Europäer:innen würden nicht mehr von einer CO2-Steuer getroffen werden, und auch 77% der US-Bevölkerung bliebe die Zusatzbelastung mangels Emissionen erspart.

Momentan folgt die Klimapolitik vielfach noch dem gängigen Trend, die Kosten zu sozialisieren, die Gewinne aus Klimaschäden hingegen zu privatisieren. Wenn wir die Klimakrise bewältigen und die Kluft zwischen Arm und Reich nicht noch weiter vertiefen wollen, werden wir aus diesem Mantra wohl aussteigen müssen.

Klimagerechtigkeit für Afrika

Aufruf von Wissenschafter:innen

In rund 250 Fachjournalen, vom renommierten The Lancet bis zum British Medical Journal, fordern 16 Autor:innen mehr Unterstützung für den Kontinent. Obwohl Afrika kaum zur Klimakrise beigetragen habe, müsse es unverhältnismäßig an ihren Folgen leiden. So habe sich die Zahl der Dürren im letzten halben Jahrhundert verdreifacht.

Das Team von Wissenschafter:innen geht davon aus, dass die Klimakrise bereits rund ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts jener Länder vernichtet hat, die am stärksten von Extremwetter betroffen sind. Das Versprechen der reichen Länder, Afrika mit 100 Milliarden jährlich zu unterstützen, wurde bisher nur zum Teil eingelöst.

250 Fachjournale fordern Klimagerechtigkeit für Afrika – science.ORF.at

Mehr Verlierer als Gewinner

Pflanzensterben und Klimakrise

Der Bestand von mehr als 1.000 Pflanzenarten ist im letzten Jahrhundert geschrumpft, nur rund 700 Arten konnten ihre Populationen vergrößern. Das zeigt die Untersuchung von 7.700 Flächen in Deutschland. Zu den Verlierern zählen vor allem Arten auf Magerwiesen, die durch die intensive Landwirtschaft dezimiert wurden.

Während die Verluste sehr gleichmäßig verteilt seien, gebe es nur punktuelle Gewinner, wie ein Artikel in Nature dokumentiert. In Österreich dürfte die Situation ähnlich sein.

Pflanzenwelt: Wenige Gewinner auf Kosten vieler Verlierer – science.ORF.at

Basiswissen Klimawandel

Gratisbroschüre

Seit Beginn der Industrialisierung hat der Gehalt von Kohlendioxid in der Atmosphäre um rund 50 Prozent zugenommen. Damit ist die Konzentration des Treibhausgases höher als jemals zuvor in den vergangenen 800.000 Jahren (wahrscheinlich sogar 3 Millionen Jahren).

Infos wie diese findet man in einer übersichtlichen Broschüre namens „Was wir heute übers Klima wissen“ auf klimafakten.de, die von renommierten Forschungseinrichtungen ständig aktualisiert wird, zuletzt im September.

Das File mit „Basisfakten zur Klimakrise, die in der Wissenschaft unumstritten sind“, so der Untertitel, ist als pdf gratis downloadbar.

waswiruebersklimawissen-akt202222-09-23web.pdf (klimafakten.de)

Kurz gemeldet

Zum ersten Mal in der Geschichte Alaskas wurde der Schneekrabbenfang im Bering-Meer abgesagt. Die Bestände sind in den letzten vier Jahren von 8 Milliarden auf 1 Milliarde Tiere gefallen. Der Grund ist unbekannt.

https://orf.at/stories/3290033/

Wider die Trittbrettfahrer – Warum es globale Klimapolitik so schwer hat.

Hörtipp 1

Es ist leicht, auf internationalen Meetings globale Klimapolitik zu vereinbaren, wenn sie dann keiner kontrolliert. Und wenn einer vorprescht und wie Europa seine Industrie zwingt, klimafreundlicher zu produzieren, kann durchaus ein Kräfteungleichgewicht entstehen, von dem „dreckige“ Hersteller in anderen Erdteilen profitieren. Spannende DIMENSIONEN über die Schwierigkeit, globale Klimapolitik zu machen.

Wider die Trittbrettfahrer | DI | 18 10 2022 | 19:05 – oe1.ORF.at

Wirtschaft ohne Wachstum?

Hörtipp 2

Ob Klimaschutz und Wirtschaftswachstum kompatibel sind, wird seit dem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ diskutiert. Die einen verweisen auf „grünes“ Wachstum, andere betonen, dass es bisher nicht gelungen sei, Ressourcenverbrauch und Wachstum voneinander zu entkoppeln. Ob eine Wirtschaft ohne Wachstum möglich ist, darüber streiten zwei Wirtschaftsforscher in den DIMENSIONEN.DISKUSSIONEN.

https://oe1.orf.at/programm/20221020/695017/Gruenes-Wachstum

IPCC-Bericht – Das „Window of Opportunity“ schließt sich

Am Montag dieser Woche erschien der jüngste Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC – wie sein Vorgänger unter äußerst ungünstigen Umständen. War es im Vorjahr Corona, das dem ersten Teil die öffentliche Aufmerksamkeit entzog, ist es diese Woche der erschütternde Krieg in der Ukraine. Dessen ungeachtet bleibt die drohende Klimaerwärmung ein Jahrhundertproblem, das unsere Aufmerksamkeit ebenso verlangt wie die humanitäre und politische Katastrophe in einem Land knapp vierhundert Kilometer östlich.

Schon jetzt, so konstatieren die Autor:innen, habe die Erderwärmung zu irreversiblen Entwicklungen geführt, die weder durch den Menschen, noch die Natur ausgeglichen werden können. Immer wieder korrigieren die 270 Verfasser:innen des zweiten Teils des sechsten Sachstandsberichts, wie der Report offiziell heißt, frühere Prognosen – leider, weil sie die disruptive Kraft der aufgeheizten Atmosphäre unterschätzt haben.

Wie die Autor:innen selber die Resultate aus dem jüngsten Bericht einschätzen, hat meine Kollegin Juliane Nagiller in science.orf.at zusammengefasst. „Noch gibt es Möglichkeiten, wie wir uns anpassen können. Diese Möglichkeiten werden geringer werden, je wärmer es wird“, sagt etwa Mitautorin Daniela Schmidt von der University of Bristol.

Der Report unter dem Titel „Impacts, Adapation and Vulnerability“ beschränkt sich nicht auf die direkten Auswirkungen der Treibhausgase. Er zeigt auch, das ge- und zerstörte Ökosysteme und der Verlust der Artenvielfalt doppelt verwundbar machen für die Folgen der Erderwärmung. Damit verbunden ist der Auftrag, unsere Umwelt besser zu schützen, weil auch sie uns resilienter macht gegen die Erderwärmung.

Der gesamte IPCC-Report umfasst 3.675 Seiten. Ich habe in diesem Newsletter vor allem die wichtigsten Fakten aus dem 36seitigen „Summary for Policymakers“ zusammengefasst. Auf dass sie nicht vergessen werden mögen.

AR6 Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability — IPCC

Extreme

Seit 1850 ist die Globaltemperatur um 1,09 Grad gestiegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Erderwärmung noch auf 1,5 Grad beschränken können, liegt unter 50%. Dies hat bereits jetzt zu einer Zunahme von Dürren und Unwetterkatastrophen geführt. Kinder, die derzeit 10 Jahre alt oder jünger sind, werden rund viermal mehr Extremwetter erleben als wir heute.

Die direkten finanziellen Schäden durch Überflutungen sind bei einer Erwärmung von 2 Grad bereits 1,4 bis 2mal so hoch wie bei einem globalen Temperaturanstieg von 1,5 Grad. Die Kosten für Extremwetterereignisse steigen exponentiell mit der Erderwärmung.

Artenvielfalt

Die Hälfte aller untersuchten Arten flieht aus den Hitzezonen in höhere Lagen und vor allem in Richtung der Pole – um rund 59 Kilometer pro Jahrzehnt. Bei einer globalen Erwärmung von 1,5 Grad werden 3-14% aller landlebenden Arten wahrscheinlich aussterben. Bei +2 Grad steigt der Maximalwert auf 18 Prozent, bei 3 Grad auf 29 Prozent. Im 5 Grad-Szenario könnten fast die Hälfte aller Spezies vom Erdboden verschwinden.

Nahrung

Der Klimawandel und die damit verbundenen Extremereignisse haben das Nahrungsangebot, trotz steigender Produktivität, in viel kleinerem Ausmaß als möglich wachsen lassen. Sie bremsen damit auch das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele (SDGs). Acht Prozent der heutigen Ackerfläche werden 2100 nicht mehr landwirtschaftlich nutzbar sein. In den Ozeanen reduzieren Erwärmung und Übersäuerung das Fischangebot. Die Fischereierträge könnten bis Ende des Jahrhunderts um bis zu 41 Prozent zurückgehen. Das führt vor allem in Afrika, Asien, Mittel- und Südamerika sowie kleinen Inselstaaten und der Arktis zu Ernährungsproblemen. Rund die Hälfte der Weltbevölkerung leidet schon jetzt an Wassermangel.

Wasser

Die Risiken durch Wassermangel werden mittel- bis langfristig in allen Regionen steigen. Bei einer globalen Erwärmung von 2 Grad nimmt die Verfügbarkeit von Schmelzwasser zur landwirtschaftlichen Bewässerung in einigen Gegenden bis zu 20 Prozent ab. Auch der Verlust von Gletschereis reduziert die sommerliche Verfügbarkeit von Wasser drastisch.

Ungleichheit

Die Folgen des menschlichen Treibhausgas-Ausstoßes sind global sehr ungleich verteilt. Die Ärmsten bekommen sie am meisten zu spüren. 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen leben in den Weltgegenden, die den Klimawandel am stärksten erleben. Dazu zählen West-, Zentral- und Ostafrika, Südasien, Mittel- und Südamerika sowie kleine Inselgruppen und die Arktis. In diesen Regionen war die Sterblichkeit aufgrund von Überflutungen, Dürren und Stürmen 15mal höher als in Regionen mit „geringer Verletzlichkeit“.

Gesundheit

Extreme Hitze führt weltweit zu Übersterblichkeit. Klimatisch bedingte Krankheiten – über die Ernährung ebenso wie über Wasser – nehmen zu. Auch von Tieren übertragene Infektionen wie Dengue oder Malaria werden mehr, einerseits weil sich die Überträger weiter ausbreiten, andererseits weil sie sich in wärmerem Wetter besser vermehren können. Krankheiten des Verdauungstraktes wie Cholera, die in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen sind, bekommen durch die Erderwärmung neuen Aufschwung.

Anpassungsstrategien

Kurzfristige Klimaschutzmaßnahmen, die die Erwärmung auf 1,5 Grad beschränken, können die Schäden an Ökosystemen und Gesellschaften reduzieren, aber nicht mehr alle negativen Effekte rückgängig machen. Darin sind sich die Autor:innen des zweiten Teils des sechsten IPCC-Sachstandberichts einig. Ein verstärktes Augenmerk auf die Biodiversität und Ökosysteme ist fundamental, um die Resilienz gegen klimatische Veränderungen zu stärken. Dazu gehört etwa, dass 30-50% der weltweiten Landfläche und Ozeane unter Schutz gestellt werden. Durch Anpassungsmaßnahmen könne man höhere Investitionen in der Zukunft vermeiden, und der potenzielle Nutzen dieser Maßnahmen sei langfristig höher als ihre Kosten, meint etwa Mitautorin Schmidt.

Jede Verzögerung bei einer weltweit abgestimmten Anpassung an die Klimaveränderung und bei der Eindämmung der Klimaschäden führt dazu, dass sich das „window of opportunity“ weiter schließt und damit auch die Chance sinkt „auf eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle“, wie der Bericht schließt.

IPCC-Bericht: Zeitfenster für Klimarettung schließt sich – news.ORF.at

IPCC-Bericht: Anpassung an Klimafolgen zu zögerlich – science.ORF.at

AR6 Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability — IPCC

Raus aus dem Gas – aber wie?

Hörtipp

Österreich will bis 2040 klimaneutral sein. Der Ukraine-Krieg könnte den Ausstieg aus der fossilen Verbrennung beschleunigen, auch wenn das russische Gas derzeit noch ungestört fließt. Immerhin eine Million Haushalte und viele Industriebetriebe hängen vom Erdgas ab, das wir zu 80 Prozent aus Russland beziehen. Im JOURNAL PANORAMA haben Energieexpert:innen und ein Wirtschaftsforscher darüber diskutiert, wie die Abkehr vom Gas gelingen könnte.

https://oe1.orf.at/nachhaltigleben/wirtschaft