Empört euch – aber nicht infantil

#65

Empörung kann so groß werden, dass sie einem manchmal den Blick verstellt. Was schlussendlich zu kurzsichtigen Analysen führt. Das ist momentan auch im Umgang mit den musealen Schüttaktionen von Klima-Aktivist:innen zu beobachten. Deshalb lesen Sie heute in der Einleitung zum Ö1 Klima-Newsletter ein Pro und Contra zu den umstrittenen Aktionen, die mit dem Öl-Film auf Klimts „Tod und Leben“ im Leopold-Museum am Dienstag dieser Woche auch unser Land erreicht haben.

Gemälde wie jenes von Klimt sind zwar meist in Privatbesitz, aber dürfen durchaus als Gemeingut bezeichnet werden. Sie gehören in ihrer Essenz allen Menschen.

Viele Regionen dieser Erde sind ebenfalls Privateigentum. Aber auch die Amazonasregion und seine Insekten sind Gemeingut. Sie garantieren dem gesamten Globus Lebensqualität.

Erstaunlicherweise kocht die Empörung bei der Beschädigung eines 180 mal 200 Zentimeter großen Gemäldes weitaus stärker auf als bei der Beschädigung des Planeten. Im Fall der Kunst funktioniert der Rechtsstaat blendend: Jene, die das durch Glas geschützte Bild mit einer ölartigen Flüssigkeit beschmiert haben, werden wegen Sachbeschädigung zur Verantwortung gezogen. Im Fall der nachhaltigen Beschädigung des Planeten gibt es wenige Gesetze mit derart klaren Konsequenzen wie im Fall der Verunstaltung des Klimt-Exponats.

(Den ruinösen Umgang mit unseren Lebensräumen anzuzweifeln, gilt nicht: 99 Prozent der Wissenschafter:innen sind sich diesbezüglich einig. Und: Wissenschaft ist ein Denk- und Lösungsfindungssystem, keine Glaubensfrage.)

Diesen Widerspruch thematisieren auch viele auf Twitter: „Man kann das befremdlich und ungesittet finden. Aber die wahre Unsitte ist es, unsere Lebensgrundlage zu zerstören und dann junge Menschen anzugreifen, die verzweifelt dagegen protestieren. Das kann doch nicht unser Ernst sein“, schreibt etwa der junge Mati Randow, der als Schüler:innenvertreter mit seinen intelligenten Analysen bekannt wurde. (Ähnliches wird wohl für die Uni-Besetzung in Wien gelten.)

Ich mag mich nicht auf die Frage einlassen, warum die Ressentiments gegen (temporäre) Kunstverschandelung weitaus größer sind als gegen die Zerstörung des Planeten; es mag ein Rock’n Roll-Phänomen sein – ähnlich wie die Stockkonservativen in den 50er Jahren die neue Musik der Jungen samt ihrer Mode ablehnten, lehnen sie jetzt die Welt-Analysen der Jungen ab. Aber die Wahrheit ist mit Sicherheit weitaus komplexer.

Wir sollten darüber hinaus zur Kenntnis nehmen, dass es den Vertreter:innen der Letzten Generation nicht um die Beschädigung der Kunstwerke geht. Einer der Klima-Aktivist:innen aus dem Leopold-Museum schreibt fast flehentlich: „Ich bin wirklich sehr sorgfältig vorgegangen um wirklich nichts zu beschädigen. Bitte lasst uns mit unserer Lebensgrundlage ab jetzt auch so sorgfältig umgehen.“

Aber mindestens ebenso wichtig scheint mir die Frage, ob diese Aktionen geeignet sind, mehr positive Aufmerksamkeit für die Klimakrise zu generieren. Und da lautet die Antwortet nach allen verfügbaren Daten: nein! Die Pennsylvania State University dokumentierte nach einer Reihe von Straßenblockaden, Kunst- und Klebeaktionen (natürlich in den USA) die Reaktionen der Bevölkerung. 46% lehnen die „gewaltfreien, disruptiven Klima-Proteste“ ab. Bei vielen “reduzieren sie sogar die Unterstützung für die Lösung der Klimakrise“. Wie infantil diese Reaktion auch sein mag – sie scheint Tatsache zu sein und steht den Zielen der Klimarettungs-Bewegung diametral gegenüber, denn nur bei 13% der Bevölkerung führen die Aktionen zu einer erhöhten Aufmerksamkeit für die Erderhitzung. Ähnliche Zahlen gibt es aus Österreich, erhoben vom Nachrichtenmagazin profil. Demnach liegt die Ablehnung derartiger Proteste hierzulande bei über 50%.

Insofern muss man dem verständnisvollen Direktor des Leopold-Museums, Hans-Peter Wipplinger, Recht geben: „Die Anliegen von Klimaaktivist*innen wie jenen der Letzten Generation sind berechtigt, aber der Angriff auf Kunstwerke ist definitiv die falsche Richtung, um das angepeilte Ziel, die Verhinderung des prognostizierten Klimakollaps, zu verfolgen.“

Ähnliche Analysen gibt es übrigens von vielen Menschen, die die Dringlichkeit der Klimakrise erkannt haben.

Dessen ungeachtet möge die Empörung sich dorthin richten, wo sie ihre Berechtigung hat: auf die Zerstörung dieses Planeten und nicht auf verzweifelte punktuelle Protestaktionen von verzweifelten und mit der Sorge um uns alle angetriebenen Menschen.

Wenig Vertrauen in Klimapolitik

Studie von „Mutter Erde“

Interesse ja, aber wenig Vertrauen in die Politik: so kann man das Verhältnis der Östereicher:innen zur Klimakrise zusammenfassen. Wie die ORF-Initiative „Mutter Erde“ in einer Klimastudie festgestellt hat, sind zwar viele Menschen bereit, sich klimafreundlicher zu verhalten. Der Politik trauen sie allerdings immer weniger zu, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.

Im Vergleich zum Jahr 2020 mit 60 Prozent sehen in diesem Jahr 68 Prozent der Österreicher:innen die heimische Klimapolitik skeptisch. Entsprechend ins Negative haben sich auch die Zukunftserwartungen verändert: Blickten 2020 noch sieben von zehn Personen positiv in die Zukunft, sind es jetzt nur mehr vier.

Gut informiert über den Klimawandel fühlen sich nach eigenen Angaben nur 15 Prozent der Österreicher:innen.

„Mutter Erde“: Vertrauen in Klimapolitik nimmt ab – science.ORF.at

Keine Stockerlplätze im Klimaschutz

Österreich unterdurchschnittlich

Wie im letzten Jahr haben Germanwatch und das NewClimate Institute in ihrer Klimaschutz-Rangliste erneut keine ersten Plätze vergeben, weil auch die besten Staaten nicht genug gegen die Erderhitzung tun. Ganz oben rangiert wie 2021 Dänemark. Danach kommen Schweden und Chile. Österreich als Low Performer konnte sich von Platz 36 auf Platz 32 verbessern und liegt damit im unteren Mittelfeld, weit hinter Indien oder Marokko.

China ist im Ranking auf „sehr schlecht“ abgestürzt.

Klimaschutz-Rangliste: Dänemark vorne, Österreich auf Platz 32 – science.ORF.at

Artenschutz: mangelhaft

Aufholbedarf bei Biodiversitätsmaßnahmen für Österreich

Zum dritten Mal hat der österreichische Biodiversitätsrat bewertet, wie Österreichs Politik beim Thema Artenschutz und beim Verlust biologischer Vielfalt agiert. Die Ergebnisse sind ernüchternd. In 14 von 19 Punkten sei laut dem 27köpfigen Gremium Stillstand eingekehrt. Eine Biodiversitätsstrategie lasse nach wie vor auf sich warten. Es sei auch nicht gelungen, biodiversitätsfördernder Landnutzung und grüner Infrastruktur mehr Raum zu geben.

Die Biodiversitätsstrategie-2030 der EU sieht den Schutz von 30 Prozent des Landes und von 10 Prozent der terrestrischen Flächen vor. Bis jetzt habe Österreich dieses Ziel nur mangelhaft umgesetzt, so der Biodiversitätsrat.

Im Dezember sollen in Montreal von der Weltpolitik konkrete Ziele zum globalen Artenschutz beschlossen werden.

https://orf.at//stories/3294044/

Kurz gemeldet:

Bis heute Mittag (Freitag, 1200 Uhr) hat die COP27 in Sharm El-Sheik kein Abschlussdokument zustande gebracht. Beobachter:innen befürchten bereits einen Rückschritt hinter die Ziele von Paris 2015.

Klimakonferenz: Kritik an vagem Abschlussentwurf – news.ORF.at

Auf der Artenschutzkonferenz CITES in Panama wurden zum ersten Mal 60 Haiarten unter Schutz gestellt.

news.ORF.at

Gutes Leben im Tiny House

Hörtipp

Überdimensioniert zu bauen, gehört am Land oft zum guten Ton. Das verschlingt vielfach unnötig Geld und Ressourcen, von Energie bis hin zum Landverbrauch. Ein Gegentrend sind Mini-Gebäude, sogenannte „Tiny Houses“. Die Sendung PRAXIS porträtiert eine dreiköpfige Familie aus dem oberösterreichischen Reichraming, die auf 15 Quadratmetern Grundfläche in ihrem selbst gebauten Mini-Haus lebt.

https://oe1.orf.at/nachhaltigleben/soziales

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