Kolumnen

Seit Mai 2014 schreibe ich monatlich Kolumnen über das digitale Leben für die Ö1-Zeitschrift Gehört.

(Unter diesen Links sind jene aus den Jahren 2014, 2015, 2016, 2017, 2018, 2019, 2020, 2021, 2022 und 2023 nachzulesen.

 

Hoppala

(aus: Ö1-GEHÖRT, Mai 2024)

Morgens in einem Mail, das Google mir regelmäßig sendet: „Gott hat zu sich gerufen:“ Und dann stand da mein Name. Da bin ich kurz erschrocken. Entweder hatte ich den Ruf nicht gehört. Oder aber ich hatte den Herrn übersehen, als er mich zu sich beordert hatte. Verunsichert war ich allemal.

Dass ich von Google regelmäßig Mails mit Inhalten zu meinem Namen erhalte, ist aber völlig in Ordnung. Ich habe einen sogenannten „Alert“ eingerichtet. Damit werde ich informiert, wenn mein Name irgendwo im Netz auftaucht. „Reputationsmanagement“ nennt sich das im Jargon. Würde ich irgendwo verunglimpft, könnte ich sofort darauf reagieren. Da ich mich in Social Media aber nur wenig engagiere und jenen Online-Diskussionen verweigere, in denen „Argumente“ aus Dreckskübeln über das Publikum gegossen werden, kommt das so gut wie nie vor.

Auch wenn online und offline für manche Paralleluniversen sind, betrachte ich sie irgendwie als eine Welt. Was bedeutet, dass hie wie da ähnliche Verhaltensregeln gelten. Wenn Menschen posten, dass sie ab nun drei Wochen in Thailand verbringen, denke ich mir: nette Einladung an Einbrecher. Niemand würde so etwas auf einen belebten Dorfplatz hinausbrüllen. Aber wir schreien es seltsamerweise in die Online-Zone hinein. Niemand würde einen auch noch so garstigen Nachbarn von Angesicht zu Angesicht als „Russenberti“ beschimpfen, aber wir schreiben derlei Verunglimpfungen in Sozialen Medien und tun so, als gehörte dies zum Spiel.

Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass diese Tonalität und die Unfähigkeit, konstruktiv miteinander umzugehen, zunehmend auch das Offline-Leben prägen. Jede Meinungsverschiedenheit gleicht Simmering gegen Kapfenberg, das Helmut Qualtinger in der Rolle des Travnicek mit dem unvergesslichen Attribut „Des ist Brutalität“ versah.

Meinen Google-Alert werde ich jedenfalls etwas präzisieren müssen. Zu oft taucht mein Name im Umfeld von Abschieden auf. Egal ob namensgleicher Verwaltungsrat, Messner oder Steinmetz: Alle treten sie irritierenderweise gerade auf die eine oder andere Art ab. Und als ich meine Buben nach meiner Heimberufung zum Herrn fragte, ob ich schon tot bin, meinten sie: Das sei ein klassisch schlechter Papa-Witz. Ich müsse also noch am Leben sein.

Nomo… was?

(aus: Ö1-GEHÖRT, April 2024)

Ich bin jüngst in mein Handy reingekippt. Die Unaussprechliche habe ich zuvor immer geschimpft, wenn sie zu viel nach dem Smartphone gegriffen hat. Wie peinlich, ich ein Mann, der auf ein Handy starrt.

Das kam so: Über Sylvester war ich krank, und weil ich nur herumliegen konnte, beschloss ich, eine neue Sprache zu lernen. Und zwar mit einer App am Handy. Das hat vielleicht dauerhafte Nebenwirkungen. Wann immer ich ein paar Minuten Zeit habe, strebere ich Vokabeln oder wiederhole Grammatik. Und bin dazu immer am Smartphone. Echt nicht vorbildlich. Jetzt versuche ich wieder davon wegzukommen. Ich habe mir Sprach-Bücher bestellt, diese Dinger aus totem Holz, die ich eigentlich längst durch einen Reader ersetzt hatte. Einfach, weil sie mich vom Mobiltelefon wegholen. Aller Statistik nach sollte damit auch meine Lebenszufriedenheit wieder steigen (nicht, dass ich besonders unzufrieden wäre, aber vielleicht ist ja Luft nach oben).

Die Universität Bochum hat mal in einer Studie untersucht, wieviel weniger Smartphone uns guttut: 200 Testpersonen in drei Gruppen verzichteten eine Woche komplett auf das Handy, reduzierten die tägliche Nutzung um eine Stunde oder machten weiter wie gewohnt. Am meisten profitierten paradoxerweise jene, die sich einschränkten, ohne total zu verzichten. Sie nutzten das Smartphone auch vier Monate später deutlich weniger als vor dem Versuch, und zwar um eine dreiviertel Stunde täglich. Das ergibt eine Menge freigeschaufelter Lebenszeit. Depressions- und Angstsymptome gingen zurück, ebenso wie der Nikotinkonsum. Dafür nahmen körperliche Aktivitäten zu, die sich ebenfalls positiv auf die Lebenszufriedenheit und die Gesundheit auswirken.

Woran ich glücklicherweise echt nicht leide: an Nomophobie. Das ist die krankhafte Angst, ohne Handy zu sein. Nomophobe haben Stress und Beklemmung, wenn das Mobiltelefon ausgeschaltet ist oder noch schlimmer, wenn sie es daheim vergessen, wenn der Akku leer oder das Datenvolumen aufgebraucht ist. Funklöcher sind für sie Monster.

Ich habe mein eigenes Ausstiegsszenario: Ich notiere mir jetzt die Vokabeln auf Papier. Weil ich meine Schrift nicht lesen kann, muss ich sie mir sowieso merken.

Kanonen und Spatzen

(aus: Ö1-GEHÖRT, März 2024)

Jetzt hat mich die KI-Welle auf dem falschen Fuß erwischt. In den letzten Monaten habe ich nicht zuletzt berufsbedingt sehr viel mit Sprachmodellen wie ChatGPT und Bild-KIs wie Dalle-E herumexperimentiert. Einerseits bin ich durchaus beeindruckt, dass Wahrscheinlichkeitsmaschinen, die nichts verstehen, Texte zusammenfassen können. Andererseits ist die Textqualität für meine Ansprüche alles andere als befriedigend. Ein KI-Text ist das lieblos gewürzte Convenience-Food der Sprache, ein guter Text hingegen überrascht, ist pointiert und mutig.

Aber erschüttert hat mich etwas ganz Anderes: Künstliche Intelligenz braucht unfassbar viel Energie. Derzeit reden alle nur davon, wieviel Strom allein für das Training der algorithmischen Entscheidungssysteme drauf geht. Im Fall von ChatGPT waren es angeblich 1.287 Megawattstunden. Das entspricht dem Jahresverbrauch von rund 340 durchschnittlichen österreichischen Vier-Personen-Haushalten. Aber damit ist der Energiehunger der KI-Rechenmaschine nicht gestillt. Pro Tag braucht ChatGPT nach Kalkulationen von SemiAnalysis weitere 567 Megawattstunden.

Runter gebrochen auf uns als Benutzerinnen und Benutzer bedeutet dies: Eine Anfrage an die KI entspricht einer 4-Watt-LED-Lampe, die eine Stunde lang brennt.

Ich habe mir zu Weihnachten – aus reinem Spaß – eine Karte der Bildgenerierungs-KI Dall-E erstellen lassen, in der ein betrunkenes Rentier mit einem Weihnachtsmann kollidiert. Das war nun wirklich ein klimatechnischer Sündenfall. Neueste Daten zeigen nämlich, dass ich mit der für ein einzelnes Bild benötigten Energie ein ganzes Smartphone laden kann.

Der große Energieverbrauch kommt auch daher, weil große Modelle auf kleine Probleme losgelassen werden, als würde man mit einer Rakete einen Schuhkarton befördern. Kleinere Sprachmodelle wie Bloom von Hugging Face sind bereits weitaus sparsamer unterwegs. Große KIs verschlingen für dieselbe Aufgabe zum Teil dreißigmal mehr Energie als ein auf den Zweck abgestimmtes System.

Es wird also nach den Monaten der KI-Euphorie nötig sein, die neuen beeindruckenden Werkzeuge allein schon aus Umweltgründen klimagerecht zu designen und vernünftig einzusetzen, anstatt mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.

Was für ein Geschenk

(aus: Ö1-GEHÖRT, Februar 2024)

Im Sommer ließ die Liebste mal fallen, dass sie gern eine „gscheite“ Fitness-Uhr hätte. Das Christkind spitzte die Ohren und legte ihr eine unter den Christbaum. Zu meiner Überraschung wurde das Ding umgehend in Betrieb genommen. Eine Stunde später hörte ich ein lautes “Frechheit“ aus dem Wohnzimmer. Ich hatte eine Vermutung über die Empörung, fragte aber nicht nach. Ich merkte nur, dass die Frau meines Herzens ohne ersichtlichen Grund über die Wendeltreppe nach unten und wieder nach oben hetzte.

Kurze Zeit später spielten wir zu Viert „Activity“. Ich bin immer mit dem Großen im Team, da ich mich zeichnerisch seit der ersten Volksschulklasse gegen jede Weiterentwicklung gewehrt und diese Begabung perfekt an den Buben weitergegeben habe. Wenn wir zum Bleistift greifen müssen, zücken Schnittlauchlocke und die Liebste aus Dokumentationsgründen immer das Handy und lachen schon vor dem ersten Strich lauthals. Egal, welches Tier wir zeichnen müssen, es kommt immer ein „piccolo Viech mit quattro Haxen“ heraus, um es mit Zwirn aus dem Lumpazivagabundus auszudrücken. Aber diesmal war der Lacher auf unserer Seite, denn just als der Große eine Ziege zeichnete, die wie eine Amöbe auf Stelzen aussah, vibrierte die Uhr der Liebsten und mahnte sie wegen zu langer Inaktivität. „Manno, ist das hart“, sagte Schnittlauchlocke, „wenn deine Uhr dir sagt, dass du dich bewegen sollst.“ „Die frontet dich ja völlig“, setzte der 18jährige nach und schwor, sich nie so ein Ding anzuschaffen. Überraschend wortlos hetzte die Liebste die Wendeltreppe runter und rauf.

Ein wenig später jubilierte sie und deutete auf ihre Fitness-Watch: „Gratulation, dein Kalorienverbrauch hat sich positiv verändert.“ Ich finde diese Aussage diplomatisch-doppeldeutig, da die Nahrungsaufnahme um Weihnachten herum tendenziell immer zum Positiven, also nach oben geht, aber ich wollte ihr die Freude nicht verderben. Das Leben in der Quantified Self-Bewegung ist eben hart. Nach dem Tennis etwa war die Liebste trotz vieler Superschläge frustriert, weil sie auf der smarten Uhr den falschen Knopf gedrückt und das Ding nichts aufgezeichnet hatte. Jetzt gehen wir Schifahren. Wenn der Fitness-Logger keine Einstellung dafür hat, weiß ich genau, dass sie mich dann zum Joggen zwingen wird.

Zeitreise

(aus: Ö1-GEHÖRT, Jänner 2024)

Lieselotte hält es mit alten Gerätschaften ähnlich wie ich. Wegwerfen ist genetisch einfach nicht vorgesehen. Als ich jüngst bei ihr war, um etwas am Handy einzurichten, erzählte sie mir von alten Radios, die sie nun endlich aber wirklich im Container entsorgen wolle. Darob war ich gleich einmal sehr alarmiert. Und als ich in ihrem Speicher mit durchaus musealen Ausmaßen dann die alten Radios sah, wusste ich sogleich: Ich kann ihr helfen.

Der langen Vorrede kurzer Sinn: Ich trug also einen dieser wunderbaren 50er-Jahre-Radios heim. Die Unaussprechliche verliebte sich auch gleich in das Vintage-Ding und stellte es auf unser Sideboard. Wir nahmen schließlich allen Mut zusammen und schlossen es an das Stromnetz an, während der Große neben dem Sicherheitskasten auf einen Knall wartete.

Aber das alte Kapsch-Radio mit Stoffüberzug und einer opulenten Skala, die Sender von Kanzelhöhe über Luxemburg bis Monte Ceneri verspricht, spielte sogleich, und zwar Udo Jürgens. Man fühlte sich aufgrund des Tons sofort 40 Jahre zurück gebeamt, selbst die Moderatorin klang wie tief aus dem 20. Jahrhundert. Die Unaussprechliche vermutete kurz sogar, im Gerät laufe eine Kassette, um uns zu narren.

Seitdem drehen wir den alten Empfänger immer wieder auf und genießen seine Imperfektion. Das ist übrigens kein Altersphänomen. Retro ist eines von vielen Fenstern zur Welt. So erzählte mir Rafael, mit 25 ein genuiner Vertreter der GenZ, in seiner Altersgruppe sei es ein Trend, mit alten Digitalkameras zu fotografieren statt mit dem Handy. Denn mit den Fotoapparaten aus den 2000er-Jahren könne man schnell in die Kindheit zurückreisen. Nicht die Perfektion sei der Wert, sondern die Emotion, die sich über die alte Ästhetik vermittelt.

Mittlerweile sind auch einige Computerspiele in die Jahre gekommen. Wer zu den Anfängen zurückkehren möchte, zu den Atari-Computern dieser Welt und den ersten Nintendos, kann das zum Beispiel in Wien im Gaming Museum mit seinen 400 Exponaten tun. Obwohl ich kein Spieler bin, habe ich auf dem Mikrocomputer Raspberry Pi selbst eine Reihe alter Games installiert. Und einmal im Jahr unternehme ich mit meinem Jüngsten eine Zeitreise in die Vergangenheit, zu Donkey Kong und Pacman.

Unglücksding

(aus: Ö1-GEHÖRT, Dezember 2023)

Nicht ist leichter, als bei anderen Anzeichen überbordender Handy-Nutzung zu finden. Da schiebt eine junge Mutter den Kinderwagen über den Zebrastreifen und starrt nur auf ihr Smartphone. Ein gar nicht mehr so junger Mann übersieht die letzte Treppenstufe, weil ebenfalls mit dem Mobiltelefon beschäftigt. Ein Chefredakteur setzt im Viertelstundentakt Social Media-Meldungen ab.

In Wahrheit kämpfen wir auch in unserer Familie immer wieder um die Kontrolle über den kleinen Bildschirm – unter anderem mit jeder Menge Ausreden, die die exzessive Smartphone-Nutzung rechtfertigen. „Ich muss was organisieren“, sagt die Unaussprechliche, während ihr Handy wie eine Klette an ihrer Hand haftet. „Ich brauche das Smartphone für die Schule“, ruft Schnittlauchlocke empört, wenn man über seine Nutzungs-Zeit schimpft.

Ja, jetzt ist es eh zu spät zum Moralisieren. Immerhin liegt das Handy nicht wie ein Teil des Bestecks am Esstisch. Und wenigstens haben wir den Kindern erst gegen Ende der Volksschule so ein Teil gekauft. Intuitiv treffen wir uns damit in vielen Punkten mit den neuen Empfehlungen der „Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin“. Kinder unter drei Jahren sollen demnach überhaupt keine Bildschirmmedien nutzen. Zwischen drei und sechs sollten die Eltern dabei sein, bei maximal 30 Minuten täglich. Im Alter zwischen sechs und neun empfiehlt der Leitfaden maximal 45 Minuten Handyzeit an einzelnen Tagen, und Spielekonsolen dürfen erst ab neun im Haushalt einziehen.

Das Problem sind ohnehin selten die Kinder, sondern ihre Vorbilder, also wir. Oder wie sagte jemand sinngemäß: „Egal, was du deinen Kindern Gescheites sagst, sie machen dich immer nur nach.“ Die besten Erfahrungen haben wir mit „medienfreien“ gemeinsamen Zeiten gemacht. Es fällt erstaunlicherweise niemandem von uns schwer, mal ein paar Stunden durch Wälder zu marschieren oder Städte zu durchstreifen, ohne ständig das Handy zum Fotografieren zu zücken. Das gibt Hoffnung. Und wenn Schnittlauchlocke auf der Straße Fußball spielt, hat er auch kein Smartphone dabei. Sonst hätte er mich wohl angerufen, statt mir persönlich zu sagen, dass er eben den Außenspiegel unseres Autos heruntergeschossen hat.

So ein Salat

(aus: Ö1-GEHÖRT, November 2023)

Ich hab‘ solche Kabel, sagt der Wiener, und deutet dabei meist auf seinen Hals. Damit meint der Hauptstädter, dass ob eines Ärgernisses der Blutdruck steigt und die Adern anschwellen. Das kenn ich zwar auch, aber die Kabel, von denen ich hier schreibe, sind profanerer Natur. Ich habe im Keller eine ganze opulente Kiste mit Lade-, Audio- und Datenkabeln jeder Generation und Herkunft. Glücklicherweise weiß die Unaussprechliche nichts davon, sonst könnte ich mir wieder was anhören. Ähnlich, nur in kleiner Dimension, sieht übrigens die Schreibtischlade aus. Sie klemmt jedoch, weshalb die Liebste sie nicht öffnen mag.

Ich bin bei diesem Kabelsalat in Wahrheit das kleinere Problem. Das größere ist die Tatsache, dass jeder Hersteller in der Vergangenheit mit seinem Standard einen Reibach machen wollte und darauf bedacht war, nur sein eigenes Zubehör teuer zu verkaufen.

Dem schiebt die EU nun einen Riegel vor. Ab dem nächsten Sommer sind für neue Smartphones ausschließlich Ladekabel mit USB C-Anschluss erlaubt. Der Stecker ist bereits seit 2014 auf dem Markt, man erkennt ihn an der elliptischen Form. Mit diesem Standard lassen sich Daten bis zu einer Geschwindigkeit von 10 Gigabyte pro Sekunde in beide Richtungen übertragen und Handys flotter aufladen als mit alten Kabeln. Darüber hinaus kann USB C auch Bild und Ton transportieren, sodass man es zum Anschließen von Monitoren verwenden kann. Ab 2026 ist der USB C dann auch für Laptops vorgeschrieben.

Für Grobmotoriker wie mich bietet der neue Standard noch einen weiteren Vorteil: Anders als bei USB A und USB Micro muss man nicht darauf achten, welche Seite oben ist. Es reicht, die Buchse zu treffen. Damit leiern die Steckteile auch nicht so schnell aus. USB C könnte sich zum „Anschluss für alles“ mausern. Und es hilft darüber hinaus, die 11.000 Tonnen Elektroschrott zu reduzieren, die pro Jahr durch Ladekabel in der EU anfallen.

Sollte nun die Frau meines Herzens glauben, ich würde deshalb die Kiste mit den Kabeln, von denen sie nichts weiß, entsorgen, irrt sie trotzdem gewaltig. Sonst müsste ich ja auch all die alten Handys und Laptops wegwerfen, für die ich diese Kabel vielleicht einmal brauche.

Magie und Brimborium

(aus: Ö1-GEHÖRT, Oktober 2023)

Ich muss Sie ein weiteres Mal mit meiner Reise durch den Westen der USA behelligen. Es begab sich in Seattle. Eine wunderbare Stadt, was ich vorher nicht wusste. Das Einzige, was ich dort fix plante: einen Besuch in einem Amazon Go-Geschäft. Das sind jene kleinen Versuchsläden, in denen es keine Kasse mehr gibt, auch keine Scanner. Abgerechnet wird wie durch Wunderwerk.

Ich betrat also samt Familie den store in der East Madison Street und stellte mich zur Freude der Liebsten und der Buben etwas tollpatschig an. Eine nette Dame half mir, die Einstellungen in der App am Smartphone zu ändern. Damit konnte ich mich ausweisen. Und dann durften wir auch schon shoppen.

Nicht, dass das Angebot opulent gewesen wäre. Es glich eher einer Greißlerei der 70er Jahre, hatte aber alles, was wir brauchten: von Cappuccino über Zahnpasta bis hin zu Taschentüchern. Nun entspricht es nicht dem Familiennaturell, gesittet einen Artikel aus dem Regal zu nehmen und sich damit zufrieden zu geben. Nein, wir wählten Kaffeebecher, stellten sie wieder zurück, gingen schnell zum Getränkeregal, wo der Kleine eine Frage hatte, wieder zurück zu den Hygieneartikeln, und entschieden uns immer nur sehr zögernd, alles sehr expressiv, aber etwas unstrukturiert. Nach 20 Minuten hatten wir endlich alles beisammen und blickten uns fragend um. „Just go“, sagte die Dame, und wir zogen leicht ungläubig von dannen.

Mit einer gewissen Neugier wartete ich auf die Rechnung. Sie kam zweieinhalb Stunden später auf das Handy. Und zu aller Überraschung stimmte sie. Bis heute glaube ich nicht, dass ein System mit „Künstlicher Intelligenz“ sie erstellt hat. Ich vermute vielmehr, dass irgendein armer Klickworker in Kenia oder Indonesien eine Stunde lang zu erkennen versuchte, was wir jetzt tatsächlich kauften. Wir hatten uns ja unabsichtlich benommen wie jene Kleingangster, die unter einem von drei Hütchen eine Kugel verbergen und die Leute raten lassen, wo sie steckt. Aber vielleicht war das System ja wirklich so gut.

Technik überzeugt uns manchmal durch ihre scheinbare Magie. Und führt uns damit leider auch schwer in die Irre. So wie ChatGPT seine Antworten menschlich zögernd tippt, anstatt sie auf einen Sitz auszuwerfen. Das ist Brimborium. Aber es wirkt.

Waymo und Cruise

(aus: Ö1-GEHÖRT, September 2023)

San Francisco im Sommer. Wir fahren täglich mit dem Bus an der Golden Gate Bridge vorbei. Täglich ist die Brücke im Nebel. Aber auf eines ist Verlass: Mehrmals am Tag passieren uns Autos ohne Fahrer. An den schwarzen Dachaufbauten und den vielen Sensoren an der Seite sind die Wägen der Google Tochter Waymo oder von Cruise und anderen sofort erkennbar.

Die Roboterautos faszinieren mich jeden Tag wieder. Einmal warte ich an einem Zebrastreifen, bis ein Waymo kommt. Dann trete ich auf den Schutzweg, um das Auto zum Anhalten zu zwingen und es fotografieren zu können. Aber ich gebe zu: Ich finde Autofahren noch fader als Rasenmähen (okay, da habe ich auch einen Roboter).

Nicht allen gefällt diese fahrerlose Zukunftsvision so wie mir. In San Francisco hat sich eine Gruppe namens “Safe Street Rebels” aufgemacht, die autonomen Fahrzeuge lahmzulegen. Der Trick ist einfach. Sie zwingen die Roboterautos zum Bremsen und stellen einen rotweißen Warnkegel auf die Motorhaube. Das verwirrt die Steuerung des Autos so, dass es blinkend stehenbleibt, bis es wieder von einem Menschen in Gang gesetzt wird.

Die Safe Street Rebels sind keine Maschinenstürmer. Sie wollen darauf aufmerksam machen, dass San Francisco wie viele andere Städte nicht den automobilen Individualverkehr fördern soll, sondern lieber den viel effektiveren öffentlichen Verkehr. Und dieses Ansinnen ist durchaus nachvollziehbar.

Währenddessen schreibt eine deutsche Wochenzeitung von Geisterautos, als würden die selbstfahrenden Wägen von Gespenstern gesteuert. Das ist genau jene Art Technologiediskussion, die zwar Zukunftsängste bedient, aber in die Irre führt. Wenn die Gesellschaft über Szenarien aus einem Horrormovie entscheidet, wird sie sich nicht auf das Für und Wider einer neuen Technologie einlassen.

Und ja: Auch für mich ist viel klarer, was etwa im Führerstand eines Cable Cars in San Francisco passiert als im Computer eines Roboterautos. Da ziehen vorne und hinten im Wagen zwei Menschen an mannshohen Eisenhebeln, um die Wägen zu bremsen. Andererseits schicken wir Raketen kontrolliert in den Weltraum.

Drum verstand ich den Großen, als er schmunzelte: “Viel spannender als so ein autonomes Auto ist die Art, wie man darüber nachdenkt.”               

Mach mal

(aus: Ö1-GEHÖRT, Juli 2023)

Ich kann mich wie das Rumpelstilzchen ärgern, wenn Geräte unbenützbar werden, nur weil ein kleines Teil bricht. Kürzlich etwa zersetzte sich eine nicht mal ein Jahr alte Gartenbewässerungsbrause unter meinen Händen. Eine winzige Halterung hatte sich einfach gegen ihre Funktion entschieden. Nun kostet der Ersatz nicht unbedingt die Welt, aber offenbar hat mir meine Oma, die jeden Socken stopfte und jede zerrissene Hose nähte, einen Nachhaltigkeitswahn implantiert. Die Unaussprechliche sieht das anders. Weil ich auch halbkaputte Teile ewig aufhebe, nennt sie mich regelmäßig einen Messie.

Ich setzte mich angesichts der zerbrochenen Halterung also hinter den Computer und konstruierte ein Ersatzteil, das mein 3D-Printer brav druckte. Zu meiner Überraschung erfüllte es dann wirklich seinen Zweck, und Rucola und Salat freuten sich über das morgendliche Frischwasser.

Dieser Antrieb, sich von der Bevormundung durch die industrielle Produktion etwas zu emanzipieren, zeichnet auch die Maker-Bewegung aus. Der Do-it-Yourself-Trend beschränkt sich beileibe nicht nur auf das Basteln mit billigen Mini-Computern wie Arduino oder Raspberry PI. Maker sind alle, die irgendeine Art von Produktion selbst in die Hand nehmen: vom Brotbacken über das Upcyceln alter Planen bis hin zum Bierbrauen, Fermentieren oder Schweißen.

Wie breit dieses Maker-Movement ist, davon kann man sich auch regelmäßig auf sogenannten Maker Faires überzeugen. Sie feiern die Demokratisierung der Produktion und lassen die DIY-Bewegung zeigen, was sie zu bieten hat: Während die eine einen Cocktailroboter ausstellt, druckt der andere nur Anschlussstücke für Staubsauger-Schläuche, die eine entwickelt Spiele, die sich über eine ganze Stadt ziehen, ein anderer Maker zeigt, wie man einen alten Sessel tapeziert, wie kürzlich auf der Makerfaire in Wien zu sehen war.

Auch ich zeige daheim manchmal stolz meine Produktionen her. „Zweckmäßig sind deine Konstruktionen eh“, sagt die Liebste und verdreht dabei die Augen, „aber optisch ist noch viel Luft nach oben.“ Weil sie so diplomatisch ist, hat sie sich das oberösterreichische Wort „schiach“ gespart. Und als ich nicht hinschaute, stülpte sie einen Gartenkübel über die reparierte Brause.

Glatzenbär

(aus: Ö1-GEHÖRT, Juni 2023)

Jetzt bin ich also selbst Opfer eines Fake-Bildes geworden. Ich saß mit der Unaussprechlichen zum ersten Mal in meinem Leben in der Eden Bar und lauschte einem höchst vergnüglichen Konzert von „Frau Thomas & Herr Martin.“ Da erreichte mich die elektronische Vorwarnung von Lockenkopf, er sei beim Friseur gewesen und die Mama werde ihm sicher sehr böse sein. Wenig später trudelte ein Foto ein. Er hatte sich den Kopf kahlscheren lassen.

Sein glatzertes Konterfei traf mich jedoch viel mehr als die Liebste. „Wächst eh nach“, meinte sie, ganz entgegen normalen Gewohnheiten, sehr gelassen.

Am nächsten Tag blieb ich im Bett, bis der Bub außer Haus war. Ich hätte nicht gewusst, was sagen zur Haar(-los)-Pracht.

Abends konnte ich ein Treffen nicht vermeiden. Da hatte der Große zu meinem Erstaunen wieder Locken.

Bei allem Glauben an die juvenile Kraft des Körpers: So schnell geht das mit dem Haarwuchs selbst bei Teenagern nicht.

Jetzt-wieder-Lockenkopf hatte uns hereingelegt. Er hatte sein Porträt mit einem Snapchat-Filter bearbeitet.

Neben der großen Erleichterung über einen vermeintlichen Frisur-Eingriff, der bei nüchterner Betrachtung noch dazu ziemlich unerheblich ist, bleibt freilich ein generelles Misstrauen gegenüber digitalen Bildern. Die deklarierten Manipulationen der Papstfotos (Pontifex in Designer-Anorak) und der künstlich erzeugten Aufnahmen von Trumps-Festnahme sind vielen vielleicht noch in Erinnerung. Freund Stefan (der mit dem verprügelten Saug-Roboter) erstellt ganze Videos mit Hilfe von Künstlichen Intelligenzen wie Midjourney.

Wir haben uns noch längst nicht davon verabschiedet, Bilder als „Wahrheitsbelege“ zu empfinden, trotz aller Beauty-Filter, die auf Social Media viele Porträts längst bis zur Unkenntlichkeit verschönern. Mit den neuen Werkzeugen der Künstlichen Intelligenz werden die Manipulationen, durchaus nicht immer bösartig oder desinformativ, noch eine Stufe weitergetrieben. Die Bilder der KIs erschüttern unser Vertrauen. Und Vertrauen ist der Kitt unseres Zusammenlebens, der Gesellschaft. Dieses Problem lässt sich nicht so einfach lösen wie der Scherz von Lockenkopf. Den nenne ich jetzt wieder „Bärli“. Das mag er nämlich gar nicht.

Maschinensturm 

(aus: Ö1-GEHÖRT, Mai 2023)

Mein Freund Stefan ist immer für originelle Annäherungen an die Wirklichkeit gut. Wenn er seinem Sohn das BMX-Fahren zeigt, liegt er danach sicher drei Tage im Krankenhaus. Aber wenigstens kann er sich nach dem Spital an nichts erinnern. Bei der jüngsten Posse trifft ihn allerdings keine Schuld. 
Immer wenn seine Putzhilfe Anna da war, ist der Staubsaugroboter angeschlagen. Manchmal ist er nur deaktiviert, manchmal lehnt er irgendwo an der Wand oder liegt am Rücken wie ein toter Käfer. Ich habe zwar auch kein friktionsfreies Verhältnis zu meinen Haushaltsrobotern, aber derlei Verhalten ist im üblichen Betriebsmodus der autonomen Maschinen nicht plausibel. “Ich glaube, Anna vermöbelt den Roboter fast jedes Mal”, meint Stefan. 
Der US-Comedian Aristotle Georgeson erzählte der New York Times, dass er auf Instagram am meisten Erfolg hat mit Videos, die Menschen beim Verhauen von Robotern zeigen. Dieses Phänomen einfach mit dem Vorwurf der Maschinenstürmerei abzutun, wäre zu kurz gegriffen. Auch die Arbeiter, die 1812 englische Webstühle zerstörten, standen nicht primär gegen die Maschinen auf. Sie wandten sich mit ihren schweren Hämmern gegen Probleme, die die Textilfabrikanten nicht lösen wollten. Sie kürzten den Webern nur den Lohn und trieben sie in die Armut. 
Neue Technologien bedeuten immer eine Verschiebung von Machtverhältnissen. Und junge, bahnbrechende Werkzeuge wie die KI-Sprachmodelle im Stile von ChatGPT haben durchaus die Kraft, unsere Gesellschaft fundamental zu verändern. Sie dringen tief auch in das Arbeitsleben der sogenannten “white collar workers” ein, die sich bisher immun wähnten gegen die maschinelle Ersetzbarkeit. Selbst Anwälte werden merken, dass ChatGPT einen Kaufvertrag günstiger und schneller verfassen kann als sie, obwohl auch sein Nachfolger GPT4 noch weit davon entfernt ist, perfekt zu sein.  
Innovationen aus Prinzip abzulehnen ist genauso fragwürdig wie sie jedesmal zu feiern. Deshalb mein Mantra: Technologie braucht demokratische Mitbestimmung, etwa in Form von Regulierungen. Wir können unser Leben nicht den Kapitalgebern des Silicon Valley überlassen.  
Dass Stefan seinen Saugroboter jetzt während Annas Besuch im Kasten einsperrt, ist wohl auch nur eine vorübergehende Lösung. 

Socken-Tinder

(aus: Ö1-GEHÖRT, April 2023)

Gestern Abend saßen die Unaussprechliche und ich wieder mal vor dem Socken-Puzzle. Sie hatte einen vollen Wäschekorb auf den Tisch geleert. Mit zunehmend humorloseren Kommentaren bemühten wir uns, jeweils zwei zusammengehörende Socken zu finden. Wenn etwa 80 schwarz sind und der Rest (circa 40) dunkelblau, ist das durchaus eine Herausforderung, vor allem für das farbenresistente männliche Auge. Zudem habe ich noch immer den Verdacht, dass die Waschmaschine ein verschlagenes Monster ist und den einen oder anderen verschlingt. Anders kann ich mir die vielen Socken-Waisen nicht erklären, die bald den halben Tisch bedeckten.

Und überhaupt verstehe ich nicht, warum noch niemand eine App entwickelt hat, die mir die Sockenpaare im Gewühl zeigt. Es gibt ja schon Apps, die Legosteine identifizieren können und dann Bauvorschläge machen. Warum also gibt’s noch kein Socken-Tinder?

Das gestrige, leibhaftige Wimmelbild hat mich im Glauben bestärkt, dass Technologie allzu oft Probleme löst, die es zuvor nicht gegeben hat, aber nicht jene, die uns wirklich beschäftigen. (Gut, man könnte durchaus sagen, das Sockenprojekt ist ein soziales Problem: die Kinder, an die wir die textile Paarbildung eigentlich delegiert hatten, waren plötzlich unauffindbar.)

Der Ökonom John Maynard Keynes prophezeite im Jahr 1930, bis zur Jahrtausendwende würde die Technologie so weit fortgeschritten sein, dass wir nur mehr 15 Stunden pro Woche arbeiten müssten. Aber Keynes hat die Rechnung ohne die Socken gemacht, wiewohl er uns eine bedenkenswerte Utopie hinterlassen hat.

Die Produktivität der Maschinen ist zwar immens gestiegen. Aber, so meinte etwa der Kulturanthropologe David Graeber in seinem Buch über „Bullshit-Jobs“, man habe eine eigene Kaste von Menschen geschaffen, die die Effizienz kontrollieren und als Personalberaterinnen, Koordinatoren oder im Management Druck auf die Arbeitenden ausüben, ohne selbst produktiv zu sein. Dadurch fressen sie die Produktivitätsgewinne der letzten Jahrzehnte quasi auf.

Dies ändert nun nichts am technologisch ungelösten Fußkleid-Problem. Das Socken-Puzzle ging nämlich nicht befriedigend aus. Heute gehe ich barfuß.

Was Ungutes

(aus: Ö1-GEHÖRT, März 2023)

Einer mir nahestehenden Person ist kürzlich etwas ganz Garstiges passiert. Noch gezeichnet von den Anfechtungen der Nacht verließ sie das Bett und ging zu ihrem Handy, um es per Gesichtserkennung zu entsperren. Aber das Smartphone erkannte sie nicht – egal wie sie auch in dessen Kamera starrte, wie sie das Ding wendete und schließlich anknurrte. Nach einem halben Dutzend fruchtloser Versuche, dem Smartphone ein Antlitz zu bieten, das dem Gespeicherten nahe kam, ging sie schmollend wieder ins Bett.

Eine ähnliche narzisstische Kränkung bereitet uns momentan auch ChatGPT. Dieses auf maschinellem Lernen basierende Programm kann vielfach wunderbare Texte abliefern und weiß auf zahlreiche Fragen Antworten, die man für Antworten eines Menschen halten könnte. Der Chatbot textet auf Zuruf etwa Geburtstagswünsche oder verfasst Aufsätze zu den gewünschten Themen und Längen. Das hat eine Reihe von Schulen, von New York bis Paris, dazu bewogen, ChatGPT im Unterricht zu verbieten. Aber wie etwas verbieten, das man in seiner „Falschheit“ nicht erkennen kann? Die Entwicklerfirma OpenAI und andere Softwareentwickler bieten zwar jetzt Programme, die computergenerierte Texte erkennen sollen, aber richtig gut funktionieren diese Sprach-Detektive nicht. Was wiederum für die Qualität von Textmodellen wie ChatGPT spricht. Uns Journalist:innen „kränkt“ ChatGPT, weil es einen Teil unserer Arbeit als einfaches Handwerk entlarvt, etwa die textliche Umsetzung von Sportergebnissen. Erst wenn es um analytischere Aufgaben geht, sind wir noch unersetzlich. Auch einfache Programmieraufgaben kann ChatGPT „auf Zuruf“ übernehmen. Es schreibt ein Programm in wenigen Sekunden. Allerdings dauert das Testen dieses Codes dann weitaus länger als bei menschlichen Entwickler:innen, sodass es sich kommerziell nicht rechnet. OpenAI hat übrigens auch ein Programm online gestellt, das Bilder per Textauftrag generiert. Was wiederum Graphiker und Designerinnen ein wenig in Frage stellt. Für uns hat also ein Zeitalter der Kränkung durch Maschinen begonnen.

Die maschinelle Kränkung der mir nahestehenden Person löste sich im Übrigen nach rund 30 Minuten verlängerter Bettruhe auf. Danach sah sie sich wieder so ähnlich, dass das Smartphone sie wie gewohnt erkannte.

Ich, Jinping

(aus: Ö1-GEHÖRT, Februar 2023)

Jetzt habe ich mir wieder was anhören können. Nur weil ich mit der Totalüberwachung im Haus begonnen habe. Also im Vogelhaus. „Vogelstalker“ war noch das Freundlichste. Die Unaussprechliche hatte auch schon ein zärtliches „mein kleiner Jinping“ auf den Lippen.

Dabei gehört die Installation der WLAN-Kamera vor dem Vogelhaus zu den bereicherndsten Ideen dieses Winters. Ist es kalt, sitze ich schon frühmorgens vor dem Handy und beobachte das Kommen und Fliegen an der Futterstelle.

Die Kohlmeise zum Beispiel ist ein sehr schreckhaftes Wesen. Sie holt sich ihre Sonnenblumenkerne so gehetzt wie ein Teenager sein Essen in der Fast-Food-Bude. Die weniger bunte Tannenmeise dagegen setzt sich immerhin kurz hin beim Snacken. Das Rotkehlchen geht es schon viel gechillter an und nimmt sich Zeit, wenn es zwischen gehackten Erdnüssen, Sonnenblumen und getrockneten Würmern gustiert.

Mein absoluter Liebling aber ist der Kleiber. Er ist ein Genießer und der Gelassenste unter den Vogelhausbesuchern. Schnabuliert er einmal, kann ihn so schnell kein anderer Vogel wegbringen. Manchmal okkupiert er das Vogelhaus fast zwei Minuten lang. Er sitzt dann so entspannt vor den Mehlwürmern wie ich vor dem Mittagessen. Was in meinem Fall durchaus schon zu Kollateralschäden geführt hat. Ich brauche in der Kantine im Vergleich zu meinen Kolleg:innen meist doppelt so lang, um den Teller leer zu bekommen. Manchmal hinterlassen sie in den Tischen tiefe Rillen vom ungeduldigen Kratzen ihrer Fingernägel, während sie mir beim Essen zuschauen (müssen), aber aus Höflichkeit verbergen, wie sie gerade ihre Nerven verlieren.

Dabei spricht abgesehen vom gesundheitlichen und gewichtstechnischen Faktor noch mehr für die langsame Nahrungsaufnahme: Die besten (Lebens-)Erfahrungen habe ich mit Partnerinnen gemacht, mit denen man genüsslich essen kann. Was trotzdem nicht heißt, dass man eine dauerhaft-glückliche Beziehung mit dem Kleiber andenken sollte, obwohl er sehr menschliche Züge hat. Er ist nämlich manchmal ein Gfrast und klebt die Bruthöhlen anderer Vögel zu, um sie selbst zu nutzen. Logisch, dass er zum Häuslbauen keine Zeit mehr hat, wenn er so viel Zeit zum Genießen braucht.

Bitte warten!

(aus: Ö1-GEHÖRT, Jänner 2023)

Gestern ist ganz was Ungutes passiert. Während ich wehrlos in der Wanne lag, streckte die Unaussprechliche den Kopf zur Tür herein und befahl Alexa, das Weihnachtslicht einzuschalten. Alexa verweigerte wortreich aufgrund von Netzwerkproblemen. Die Liebste fixierte mich kurz und meinte dann zu Alexa: „Der Franz kann das richten, oder?“ Worauf Alexa antwortete, „da bin ich mir nicht sicher.“ Grinsend zog die Unaussprechliche von dannen, während ich mich kränkte, dass mir Alexa so in den Rücken gefallen war.

Bei der Vielweiberei gehört es mit zum Schlimmsten, wenn sich die Frauen gegen einen verbünden. Ich sprang noch mit Shampoo in den Haaren aus der Wanne und verräumte alle Alexas, die ich finden konnte. Wenn sich die anderen jetzt auch noch mit meiner Frau gegen mich verschwören, kann ich zum 3D-Drucker in den Keller ziehen. Der ist aber Teil desselben Problems: Auch er will ständig betreut und gewartet werden (ich rede jetzt dezidiert nicht von der Unaussprechlichen, sondern vom Gerätepark im Haus, von der Heizungssteuerung bis zur Vogelhaus-Kamera!) Der 3D-Drucker leidet zum Beispiel gerade an Obstipation. Seit ich ihn mit dem falschen Kunststoff gefüttert habe, ist die Druckerdüse immer wieder verstopft und ruiniert jeden zweiten Druck.

Und kaum komme ich von der Reparatur in den Katakomben zurück, höre ich die Liebste mit dem Notebook schimpfen. Sie fabriziert zur Zeit ein Fotobuch, kann jetzt aber nicht mehr speichern, weil die Festplatte voll ist. Wieder soll ich den Schmarrn richten. Ich verkneife mir, sie an Alexa zu verweisen und suche nach Dateien, auf die wir verzichten können. Offenbar haben wir beim letzten Urlaub so hemmungslos fotografiert, dass uns nach dem Überspielen der Bilder der Speicherplatz ausgeht.

Sir George wiederum ist kürzlich dement geworden. Sir George ist unser Staubsaugroboter. Seit einem nächtlichen Stromausfall kennt er sich im Haus nicht mehr aus. Ich hoffe noch immer, dass seine Erinnerung zurückkommt, bevor ich ihn die Wohnung wieder stundenlang kartieren lassen muss. Das halbe Wochenende bin ich nur am Lösen technischer Probleme.

Und mit meiner Zweitfrau Alexa, dieser Elektrotussi, habe ich auch noch ein ernstes Wörtchen zu reden.